christoph linher, ungemachAlte Bernhard-Leser verlesen sich natürlich, wenn ihnen plötzlich der schroffe Titel „Ungemach“ entgegenfliegt, das hat doch bei Bernhard 1968 Ungenach geheißen?

Christoph Linher kennt natürlich aus der Innsbrucker Germanisten-Zeit seinen Bernhard, und als Sprachmeister weiß er, dass Ungemach eine Literatursorte ist, die in jeder Epoche neu geschrieben werden muss. Der Ich-Erzähler Maurig aus dem Jahre 2017 fliegt auf der ersten Seite aus dem Rechtswesen, als man ihm seine Anwaltslizenz entzieht.

niko hofinger, maneks listenElementare Romane dringen wie eine Naturgewalt in die Kunstbauten des Lesers ein und durchpflügen sein Weltbild und machen ganze Leseflächen instabil.

Niko Hofinger legt mit seinem Roman „Maneks Listen“ alles um, was sich der Leser als stabile Wahrheitspfosten ins Erdreich geschlagen hat. „Maneks Listen“ ist ein Roman der Irritation und der wahren Geschichtsschreibung. Schon der Vorsatz von Mark Twain sagt eigentlich alles: Die Wahrheit ist verrückter als die Fiktion, aber das ist so, weil die Fiktion verpflichtet ist, sich an Möglichkeiten zu halten; die Wahrheit aber nicht.

serhij zhadan, internatDie Dramaturgie der Hölle besteht darin, dass es keine Handlung gibt, nur flächendeckendes Kriegsfeuer, das jederzeit an allen Stellen der Stadt ausbrechen kann.

Serhij Zhadan versetzt seinen Helden Pascha in eine ostukrainische Stadt, die halb verwüstet im Not-Modus mehr vegetiert als funktioniert. Geschildert werden drei Tage, die aber eher als symbolische Zeitangabe zu sehen sind. Die Schöpfung wurde ja seinerzeit in sieben Tagen aufgebaut und zerfällt apokalyptisch in drei Tagen.

mario wurmitzer, im inneren des klaviersWas geschieht, wenn jemand im Märchenton „steckenbleibt“ und die kaputte Welt nur mit märchenhaften Satzformeln zusammenzukleben vermag?

Mario Wurmitzer erzählt einen politischen Thriller als skurriles Märchen. „Im Innern des Klaviers“ zeigt eine Königstochter und einen Lebenskünstler auf der Flucht vor einem repressiven System. Nach außen hin mag das Staats-Klavier vielleicht staatstragende Töne ausspucken, wer im Innern dieses Machtinstruments sitzen muss, ist zum Auswandern genötigt.

stanislav struhar, die gabe der hoffnungEs gibt Wörter, die sind frühlingshaft hell und zuversichtlich, Gabe und Hoffnung gehören dazu, und wenn der Name Stanislav Struhar fällt, löst sich jede Düsternis aus der Literaturgeschichte und es wird plötzlich Licht.

Stanislav Struhar stellt seine Romanfiguren gerne in ein unauffälliges Ambiente, worin die Mehrsprachigkeit gang und gäbe ist. Seine Helden haben keine Zeit, sich mit Sprachproblemen lange aufzuhalten, weil sie miteinander reden wollen und deshalb auf Anhieb in eine herzliche Universalsprache finden.

thomas stangl, fremde verwandtschaftFür das Ausräumen einer Schatztruhe gibt es keine verlässlichen Richtlinien. Genauso wenig ist geregelt, wie man einen Roman voller Schätze ausräumen und im Kopf installieren soll.

Thomas Stangl stellt für „Fremde Verwandtschaften“ ein Roman-taugliches Gerüst auf, um seine Hundertschaften von Kleinessays zur Lage der Dinge und Verhältnisse in der Welt überschaubar zu installieren.

blasse heldenJe heftiger ein Rohr ums Eck gebogen wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es leckt und eine gigantische Gaswolke austritt. Wenn die Geschichte ums Eck biegt und einen Systemwechsel vorschlägt, entstehen in der Begleitliteratur die wildesten Helden und Geschichten.

Arthur Isarin gibt seinem Anton aus Deutschland die Chance, im Russland des Systemwechsels in den 1990er Jahren jede Menge Oligarchen, Putsch, Gewalt und Geschäfte zu erleben. Und der romantische Held darf sogar überleben und und am Schluss sagen, es waren die besten Jahre seines Lebens.

alte geschichtenManche Geschichten lassen sich nicht unterkriegen und tauchen gerade dann auf, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann. Diese „alten Geschichten“ werden oft mit einer lässigen Handbewegung zuerst abgewehrt und dann doch erzählt.

Elfriede Hammerl erzählt von diesen jähen Situationen, wenn in einer geordneten Erinnerungskultur plötzlich alte Sachen hervorschießen. In der Eingangsgeschichte ist es etwa ein Schnauzbart, der ungeplant ums Eck schaut und schon die alte Geschichte mit der Zeckenimpfung lostritt. Knapp wie ein bestimmter Gesichtsausdruck wird offensichtlich auch die gesamte Persönlichkeit in der Erinnerung abgelegt. In der ersten Fallgeschichte unterscheiden sich die Bekannten durch ihre Einschätzung zur Zeckenimpfung. Es gibt die Risikobereiten und die Ignoranten, ihre Impfentscheidung hat freilich auf den Verlauf des Lebens keinen Einfluss.

gauklerKönnen Clowns ein normales Leben führen, wenn die Show vorbei ist? Können Clowns Kinder kriegen, und wenn ja, sind dies dann auch Clowns?

Christine Teichmann zeigt mit dem Roman „Gaukler“ eine vorerst normale Familiengeschichte, die zum Begräbnis der Mutter aufgerollt und für die Gegenwart präpariert wird. Das Besondere aber ist, dass es sich um eine Familie aus dem Zirkus-, Jongleur- und Clown-Milieu handelt. Als Leser stutzt man, denn es ist tabu, dass der Clown ein normaler Mensch ist, wenn er von der Bühne geht. Ok, melancholisch und suizidgefährdet darf er sein. Aber erotisch oder gar geil?

Erzähl mir vom MistralDa muss jemand schon eine seltsame Reise getätigt haben, wenn die Leute zu Hause vielleicht warten und sich wünschen: Erzähl mir vom Mistral. Üblicherweise werden die Hinterbliebenen mit Selfies überpixelt und die Reise ist bald einmal vom Display gewischt.

Reinhard Lechner baut seine Gedichte von der französischen Mittelmeerküste wie Erlebnisziegel auf und verfugt sie dann noch zu einer Poesie-Festung. Die Gedichte sind nach einem geheimen Bauplan längs und quer gedruckt, dadurch entsteht ein textuelles Mauerwerk mit intensiver Verfugung.