Ein Mann vergafft sich in der Straßenbahn in eine Frau, geht ihr im geordneten Stalking-Abstand hinterher bis zu ihrer Wohnungstür. Als sie darin verschwunden ist, riecht er an der Tür und stellt fest, dass sie geruchlos ist. – Was ist das, eine Beschreibung eines Psychopaten, eine erotische Abbruchgeschichte, eine Meldung über das Versagen der Sinnesorgane?

In Philipp Rödlings zehn Erzählungen von der Stille am Ende des Flurs klaffen meist Oberfläche und Tiefgang des Beobachteten auseinander. Wenn die Wohnungstür geruchlos ist, wird auch alles Dahinterliegende unfassbar und unriechbar. Der Betrachter steht fassungslos vor der vollkommenen Entkoppelung zwischen Erotik und Körperlichkeit, die Sinnesorgane sinnen ins Leere, die eingelangten Impulse zur Außenwelt sind falsch verkabelt, sodass sie im Hirn des Empfängers unnütze oder falsche Bilder erzeugen.

Der Begriff Antiroman lädt die Leserschaft ein, vor der Lektüre zu reflektieren, was mit dieser fiktionalen Antimaterie wohl angesprochen werden könnte.

Zlatko Pakovic zieht das Projekt Antiroman sehr konsequent durch. Alles, was in einem üblichen Familien- oder Sippschaftsroman dargestellt wird, wird hier ausgeblendet. Man stelle sich einfach die Buddenbrooks ohne Buddenbrooks vor, dann ist man der dargestellten serbischen Familie schon ziemlich auf der Spur.

Ein Fächer verhüllt einerseits das Antlitz, gleichzeitig bewegt er es durch seine Zuckungen. Wenn er dann gar noch zu schaudern anfängt, liegt das entweder am Gesicht oder an der Welt, die er beide jeweils zu bewegen versucht.

Ann Cotten nimmt ein japanisches Kult-Gerät in die Hand, um in siebzehn Erzählungen Bewegung in emotionale Ruhezonen zu bringen. Dabei geht es meist um Gefühle, die sich kunstvoll an der Oberfläche wegwischen lassen oder deren Tiefgang durch rituelle Handlungen kalt gehalten werden müssen.

Die meisten Autoren werden kurzfristig aus ihrem Schreiberdasein gerissen, wenn sie Vater werden. Bei der Beobachtung der ersten Geräusche des Kindes definieren sie sich dann meist als Dichter neu, gleicht doch das Kinderlallen durchaus den Grundstrukturen der Literatur.

Andreas Unterweger ist also Vater geworden und feiert dies mit einem „Roman“ aus Notizen, den er in der Struktur seiner neuen Rolle anpasst. Einerseits werden die Begebenheiten, Geräusche und Verdauungssequenzen des Kindes aufmerksamen notiert, andererseits müssen diese Notizen dann vor dem großen Auge der Weltliteratur Platz nehmen und ihre Bedeutung kundtun.

Was wie eine edle Herkunftsbezeichnung eines raren Weines klingt, hat bei der Beschreibung des eigenen Lebens natürlich schattige und dunkle Seiten.

Annemarie Regensburger erzählt in ihrer Geschichte einer Befreiung durchaus autobiographisch, sie setzt das Persönliche in ein Album der Zeitgeschichte und stabilisiert das Individuelle durch einen kommentierenden Erzählstil, sodass Gesellschaftspolitik, Leben der Hauptfigur und fiktionale Träume und Überlegungen ins allgemein Interessante transferiert werden.

Obwohl es Wörter aus der üblichen Welt sind, erzählen sie unter dem Einfluss von Geistern und Tattoos eine Geschichte nicht von dieser Welt.

Robert Prosser siedelt seine Helden im entlegenen Kaukasus in einer Zeit nach einem Krieg an, der die Überlebenden völlig traumatisiert hat. „Unter Wölfen“ nennt sich dann auch das erste Kapitel, worin der Überlebenskampf strukturiert ist wie in Wolfsrudeln, die die abgebrannten Dörfer umkreisen.

Manchmal besteht der Sinn der Liebe darin, dass die beiden Schmachtenden ums Verrecken nicht zusammenkommen dürfen.

Lina Hofstätter verwendet die Technik einer Doppelerzählung um das unmögliche Zusammendriften von Mann und Frau aufzudröseln. Er und Sie kriegen einerseits das autarke Feld eines kleinen Kurzromans zugeteilt, andererseits sind die beiden Teile untrennbar mit erzählerischen Widerhaken ineinander verschränkt und ließen sich nur unter großen Verwundungen trennen.

In der Literatur wird manchmal die Logik der Ereignisse ausgehebelt wie die Schwerkraft, wenn man einen Stein fetzig über die Wasseroberfläche springen lässt.

Die Autoren Werner Egli und Martin Kolozs, beide sind perfekte Abnager von Erzählknochen, haben sich eine Woche lang zu einem Schreibexperiment zusammengefunden. Gelingt es, eine dynamische Schreibwoche in eine dynamische Erzählung zu transformieren?

Wer etwas von der Welt mitbekommen will, muss sich von dieser manchmal abwenden.

In Helmut Rizys Roman „Im Maulwurfshügel“ hat sich der Held von der Außenwelt verabschiedet und sich in seine Wohnung zurückgezogen. Er versucht dabei, ein strukturiert sinnvolles Leben mit sich selbst und seinen Büchern zu finden.

Das Gebirge ist in der Literatur der Ort der letzten Klärung. Ob es sich nun um einen familiären Suizid handelt wie bei Thomas Bernhard oder um einen radikalen Hirnumschwung wie in Büchners Lenz, das Gebirge erscheint dabei als eine scharfe Klinge für die existenzielle Rasur.

Roland Reitmair macht diese geographische Reinigungsanlage noch eine Spur schärfer, indem er seinen Helden ins „Innergebirg“ schickt. Dass es dabei um Leben und Tod und um den Sinn des Lebens geht, wird sogar dem Helden Arthur von der ersten Zeile an klar. Er hat nämlich das Gefühl, gerade gestorben zu sein, aber andererseits sind ein paar Sinnesorgane noch in Funktion und er kann sich einen Rundgang durchs Innergebirge leisten.