Bei jeder Mauer gibt es die interessante Frage: Wo ist vorne und wo hinten und woraus besteht sie?

Bei Alissa Ganijewa besteht die Mauer vor allem aus Gerüchten und zieht sich folgerichtig durch die Köpfe der Protagonisten. Der Roman „Die russische Mauer“ beschreibt das Leben in Dagestan, das aus einer mythologischen Erfolgsgeschichte und einem gegenwärtigen Desaster besteht.

In der Geschichtsschreibung gibt es zwar Modelle für Kriegserklärungen, Schlachten und Friedensverträge, aber kaum eine Erzählform kümmert sich um die Auswirkungen dieser großen Veranstaltungen auf das Individuum.

Ruth Aspöck wählt eine besondere Form der Familienaufstellung, um den Übergang des Krieges in eine sogenannte normale Weltordnung zu dokumentieren. Dabei teilt sie die Rollen in straff eingegrenzte Ideal-Typen auf, die Figuren sind freiwillig Gefangene von Ideen und versuchen durch Klarheit mit diesen Rollen zurechtzukommen.

Für besonders abartige Realitätsvorfälle haben unsere Sinnesorgane Abwehrmechanismen entwickelt, damit wir möglichst unversehrt bleiben. In der Literatur gibt es freilich Arrangements von Geschichten, die an diese Grenze heran gehen, wo der gesunde Menschenverstand sagt, „das will ich nicht wissen“, und die Neugierde uns dazu treibt, die Geschichte bis zur letzten Zeile auszuschlürfen.

Silvia Flür-Vonstadl greift in ihrem Mystery-Band etwas abseits der Realität neun Konstellationen auf, wo die Sinnesorgane versagen und die Logik der Wahrnehmung einen eigenartigen Drall bekommt.

Das ist in der Literatur ganz selten, dass eine Tirol-Ikone vom Cover glänzt und der ganzen Welt zeigt, wie ein echter Tiroler drein schaut.

Tobias Moretti gelingt dieses Kunststück, indem er vom cineastisch aufpolierten Roman „Das finstere Tal“ von Thomas Willmann funkelt. Das Genre „Alpen-Western“ erfährt dieser Tage jedenfalls in Film und Roman einen Höhepunkt.

Am witzigsten wird die Literatur immer dann, wenn die Realität so kompakt ins Unwahrscheinliche verdichtet wird, dass man sie nur mehr mit Schmunzeln und Gelächter aushalten kann. Der von der Germanistik so geliebte Realismus kippt ins Sagenhafte, wenn sich auf jeder Seite eine neue Ungehörigkeit auftut.

Judith W. Taschler dreht in ihren vier Erzählungen heftig am Story-Rad, in immer schnelleren Episoden rasen dabei die Geschichte einem durchgeknallten Ende zu.

Straßen werden als Verbindungskanäle zwischen Kulturen literarisch hoch gelobt, die Wirtschaft schätzt sie als Fundamente des Handels und das Kapital als Ort intensiven Investments, wenn man wieder einmal die Maschinen auffahren lässt.

In Waltraud Mittichs Roman „Abschied von der Serenissima“ führen die Straßen die Protagonistinnen zuerst hinaus aus der Kindheit aber dann einem strengen Leben zu. Die Straßen der Verheißung entpuppen sich als pfützige Rollwege, auf denen sich der Karren des Lebens nur mühsam voranschieben lässt.

Wenn das Leben mehr oder weniger gelaufen ist, setzt man sich gerne in ein Lokal und bestellt etwas Ausgefallenes. In der Abenteuer-Literatur gibt es für diese Entspannung eine eigene Speisekarte, auf der durchaus der Tod am Programm steht.

Christian Mähr führt in seinem Roman „Tod auf der Tageskarte“ die internationale Agenten- und Gangsterwelt mit den lokalen Rentnern Dornbirns zusammen. Rund um den Wirt der „Blauen Traube“ versammeln sich regelmäßig abgestandene Typen, die das Leben abgeworfen hat und die als geheime Lebensmeister nun den Alltag zelebrieren.

Neben esoterischen Legenden, wo „Streith“ eine Art Gemüts-Materie ist, findet man unter Streith vor allem eine Geländeparzelle auf halbem Weg von Großgerungs nach Großpertholz. Wem diese Groß-Orte zu unbekannt sind, sie liegen im Großraum Weitra /NÖ.

Richard Wall sucht seine Gedichte oft in historisch entlegenen, zu Steinfeldern zerlegten Flecken weitab von den Koordinaten der Überland-Navis. Das lyrische Ich taucht jäh auf einer Lichtung auf, pflückt archaisches Werkzeug aus dem Boden und hackt eine Ansicht frei.

Der Bauernroman gilt in seiner Verkitschung durchaus als folkloristische Begleitmusik zu touristischen Werbekampagnen, der Bauern-Sterberoman hingegen hat noch das Zeug zu Sozialkritik und authentischer Dokumentation.

Reinhard Kaiser-Mühlecker setzt daher im Roman „Schwarzer Flieder“ seine Figuren in ein bäuerliches Ambiente und lässt sie darin verrecken. Held ist der studierte Agrarier Ferdinand, der im Wiener Ministerium die Landwirtschaft nach wissenschaftlichen Parametern dokumentiert. Der Sektionschef unterstützt ihn freundschaftlich, die Freundin Susanne lebensorientiert, so dass er sie heiraten möchte. Da aber bringt sich Susanne um und Ferdinand gerät in eine Krise, weil man ihn unter der Hand für die Ursache ihres Suizids hält.

Alle Krankheiten, die nach alten griechischen Sagenfiguren benannt sind, sind in Wirklichkeit moderne Seelen-Deformationen, die es mit antikem Design zu modischer Anerkennung bringen. Polykrates, der Tyrann von Samos, hat so viel Glück, dass er sich schließlich selbst davor zu fürchten anfängt.

Antonio Fian bringt in seinem Roman „Das Polykrates-Syndrom“ einen modernen Helden ins Spiel, der tatsächlich unwahrscheinlich viel Glück hat, obwohl er das pure Grauen durchlebt. Der Akademiker Artur arbeitet wie in Österreich üblich in prekärer Situation in einem Copy-Shop, seine Frau Renate ist wie in allen Aufsteiger-Ehen Lehrerin mit Aussicht auf einen Direktionsposten.