Michel de Montaignes Reise durch Tirol im Jahr 1580. Teil 3

"Nun kamen wir in ein langgezogenes Tal, durch das der Inn fließt, lateinisch Oenus, der sich bis Passau in die Donau ergießt. Auf Inn und Donau braucht man von Innsbruck bis Wien fünf, sechs Tage. Dieses Tal schien Herrn de Montaigne die wohlgefälligste Landschaft, die er je sah."

Im Jahr 1580 durchquerte der französische Adelige, Philosoph und Schriftsteller Michel de Montaigne die Grafschaft Tirol. Mehr als siebzehn Monate dauerte seine Reise, die ihn von Frankreich über Scharnitz, Innsbruck, den Brenner, Brixen, Bozen und die Salurner Klause nach Italien führte. Kurz vor seiner Abreise wurden die ersten beiden Bände seiner bis heute berühmten Essais veröffentlicht.

Auf seiner Reise hat er ein Tagebuch geführt und seine Eindrücke über Land und Leute festgehalten. Seine Aufzeichnungen bieten somit heutigen Leserinnen und Lesern authentische Einblicke in die politischen, kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Tirol im Jahr 1580 n. Chr. Sein Tagebuch einer Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581 ist von Montaigne selbst nie veröffentlicht und erst im Jahr 1770 auf Schloss Montaigne von Abbé de Prunis entdeckt worden.

 

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Michel de Montaignes Aufenthalt in Tirol: Teil 3

 

In der Hofkirche

Kaiser Ferdinand I. ließ in Innsbruck zwischen 1553 und 1563 n.Chr. die Hof- oder Franziskanerkirche  zum Heiligen Kreuz erbauen. Daneben gründete er 1561 n.Chr. das Kloster der Jesuiten und mit dem Innsbrucker Gymnasium, das erste Gymnasium in Tirol überhaupt. Auch sein Sohn, Erzherzog Ferdinand II., wertete die Stadt durch zahlreiche neue Bauten auf.

So ließ er für seine Frau Phillipine Welser, zwischen 1564 und 1584 die mittelalterliche Burg Ambras zu einem Renaissanceschloss umbauen und darin den ältesten erhaltenen Museumsbau nördlich der Alpen einrichten, in dem er seine weithin berühmte Kunstsammlung unterbringen ließ. Bei der Hofkirche ließ Erzherzog Ferdinand II. für sich und seine Familie die Silberne Kapelle als letzte Ruhestätte erbauen. Außerdem ließ er den Hofgarten ausbauen, der zu dieser Zeit seine größte Entfaltung erlebte und doppelt so groß war wie der Innsbrucker Hofgarten heute.


Die Innsbrucker Hofkirche mit dem Grabdenkmal Kaiser Maximilians I. ist das bedeutendste Kaisergrabdenkmal Europas und Zeugnis einer europäischen Hofkunst, für die die besten Künstler wie Albrecht Dürer, Peter Vischer d. Ä., Alexander Colin u.a. beschäftigt wurden.

Der Hofstaat Ferdinands II. umfasste mehr als 200 Personen, die an den festlichen Veranstaltungen in den Festsälen der Innsbrucker Hofburg, auf Schloss Ambras und Schloss Ruhelust sowie in den Ballspielhäusern teilnahmen. Zur Unterhaltung gab es Turniere, Feuerschauspiele, Musik- und Theateraufführungen. Ferdinand II. selbst verfasste mit dem jedermannartigen Schauspiel Speculum vitae humanae das erste Schauspiel in deutscher Prosa.

Also fuhren wir zurück nach Innsbruck, zwei Meilen. In der einen Kirche sahen wir achtzehn sehr schöne Bronzestandbilder, die Fürsten und Fürstinnen des Hauses Österreich darstellen. Für ein paar Gänge durften wir auch an einem Souper teilnehmen, das der Kardinal von Österreich und der Markgraf von Burgau gaben. Die beiden sind die einzigen Kinder des Erzherzogs Ferdinand und seiner Konkubine, der Tochter eines Augsburger Kaufmanns; Ferdinand hatte sie geheiratet, um die Kinder zu legitimieren. Sie war vor ein paar Monaten gestorben; der Hof trug deswegen noch Trauer.

Im wesentlichen vollzog sich die Tafel wie bei unseren Fürsten. Der Saal war rundum schwarz bespannt, auch Baldachin und Stühle. Der Kardinal ist der ältere Bruder, aber man würde ihn noch nicht einmal auf zwanzig schätzen. Der Markgraf trank nur Zimtwasser, der Kardinal stark verdünnten Wein. Es gab keinen zentralen Besteckbehälter; jeder Gast hatte, was er zum Essen benötigte, vor sich liegen und stehen.

Die Serviergebräuche unterscheiden sich nicht von unseren. Die Herrschaften setzen sich zunächst einmal etwas entfernt vom Tisch; ist der vollständig mit einem Gericht beladen, wird er ihnen entgegengeschoben. An der Stirnseite sitzt stets der Höchstgestellte, was eine ähnliche Heraushebung bedeutet wie beim Stehen und Gehen das Sich-rechts-halten-Dürfen. Hier kam diese Ehre dem Kardinal zu.

Im selben Palast bewunderten wir ein Schlagballfeld und einen sehr schönen Garten. Der Erzherzog lässt immer wieder solche Anlagen zur Zerstreuung bauen, die er höchst talentiert selbst entwirft; auch ersinnt und konstruiert er gern raffinierte [87] technische Spielereien. So sahen wir bei ihm zehn, zwölf bewegliche Feldgeschütze für gänseeigroße Kugeln.

Zwar handelt es sich um Zierwaffen aus Holz, vollständig vergoldet und reich ornamentiert einschließlich der Räder, doch funktionieren sie, denn Mündung und Innenseite des Rohrs sind mit Eisenblech verkleidet. Solch ein Geschütz ist nicht schwer; ein Mann trägt es ohne Schwierigkeit auf seinen Schultern. Sicher kann es nicht unbegrenzt oft schießen, aber immerhin feuert es seine Ladung kaum weniger weit als eine Bronzekanone.
Michel de Montaigne, Tagebuch einer Reise nach Italien. Seite 87/88
Mit freundlicher Genehmigung des marixverlag, D - Wiesbaden 

 

Ferdinand II. und Philippine Welser

Ein eigenes Kapitel in der Tiroler Herrschergeschichte bildete die Beziehung Erzherzog Ferdinands II. zu seiner Gemahlin Philippine Welser, die aus einer Augsburger Patrizierfamilie stammte. Die um zwei Jahre ältere Philippine war bereits dreißig Jahre alt, als sie sich 1557 mit Ferdinand vermählt hatte. Die Ehe wurde lange Zeit verheimlicht.

Erst 1576 wurde die Eheschließung durch eine von Ferdinand II. im Jahr 1576 ausgestellte Urkunde offiziell bestätigt. Sein Vater Kaiser Ferdinand I. hatte die Ehe zwar anerkannt, doch auf ihre strikte Geheimhaltung bestanden. Aufgrund ihrer niederen Herkunft blieben die zahlreichen Kinder aus dieser Ehe von der Erbfolge ausgeschlossen.


(v.l.n.r.:) Erzherzog Ferdinand II., seine Söhne Karl von Burgau, der spätere Kardinal Andreas von Österreich und Ferdinands Frau Philippine Welser.

Die im Volk sehr beliebte Philippine lebte auf Schloss Ambras bei Innsbruck, das ihr Ferdinand II. geschenkt hatte. Bekannt wurde ihre Heilkräutersammlung, außerdem schrieb sie ein Arzneibuch mit vielen Rezepten und ein exquisites Kochbuch mit zahlreichen beliebten zeitgenössischen Gerichten.

Das Verhältnis zwischen Ferdinand und Philippine dürfte äußerst eng gewesen sein, was aus einem Bericht eines venezianischen Gesandten hervorgeht, der schrieb: Er kann nicht eine Stunde ohne sie sein. Mit Entsetzen hingegen wurde dies von Ferdinands Brüdern beobachtet.

Als Philippine Welser am 24.4.1580 starb, erkrankte auch Ferdinand II. so schwer, dass allgemein mit seinem Tod gerechnet wurde. Der Tod Philippines löste aber auch in der Tiroler Bevölkerung tiefe Trauer aus. Sie wurde in einem Grabmal aus weißem Marmor in der silbernen Kapelle der Innsbrucker Hofkirche bestattet.

Auf den Feldern seines Schlosses erblickten wir zwei Ochsen, ungewöhnlich groß, das Fell grau, nur am Kopf weiß: ein Geschenk des Herzogs von Ferrara, der eine Schwester des Erzherzogs geheiratet hatte. Die zweite war verehelicht mit dem Herzog von Toskana, die dritte mit dem von Mantua. Drei weitere, unvermählt in Hall ansässig, wurden die drei Königinnen? genannt, denn den Töchtern des Kaisers gibt man diesen Titel.

Und wie Gräfinnen und Herzoginnen nach ihren Ländereien, so heißen jene Kaisertöchter nach den Königreichen, die ihr Vater besitzt oder besaß. Zwei davon sind bereits tot; die dritte wohnt noch dort. Herr de Montaigne konnte sie jedoch nicht besuchen, denn sie leitet als Äbtissin ein örtliches Kloster und lebt in strikter Klausur. Ihr übrigens verdanken die Jesuiten, dass sie sich in Hall niederlassen konnten, denn sie hat ihnen Teile ihres Stifts zur Verfügung gestellt.

Es wird dort viel darüber gestritten, ob der Erzherzog seine Güter den eigenen Kindern vererben dürfe oder diese nicht vielmehr an den Kaiser und seine künftigen Nachfolger fallen müssten. Letztere Meinung hörten wir oft, ohne dass sie uns recht einleuchtete. Die Begründung, seine Frau sei nicht ebenbürtiger Herkunft gewesen, überzeugt nicht: immerhin hat er sie ja geheiratet, zwar heimlich, aber formal gültig, ergo sind, gemäß dem herrschenden Rechtsverständnis, alle dieser Ehe entsprossenen Kinder legitimiert. Fest steht jedenfalls, dass der [88] Erzherzog eine tüchtige Menge Taler ansammelt, damit er seinen Kindern überhaupt etwas hinterlassen kann.
Michel de Montaigne, Tagebuch einer Reise nach Italien. Seite 88/89
Mit freundlicher Genehmigung des marixverlag, D - Wiesbaden 

 

Der Weg über den Brenner

Um 1580 spielt der Transitverkehr in Tirol eine ganz wesentliche Rolle , sodass ein großer Teil der Bevölkerung sein Geld als Fuhrleute verdienen konnte. Das Transportwesen wurde von den sogenannten Rodfuhrleuten geführt, wobei der Gütertransport auf Wägen von Augsburg nach Venedig zu der damaligen Zeit drei bis vier Monate beanspruchen konnte. Erzherzog Ferdinand II. ließ zwischen 1582 und 1584 die zum Brenner führende Straße über den Schönberg verlegen. Die alte Straße hatte sich zunehmend als zu steil erwiesen und viele Fuhrleute dazu veranlasst, die Ellbögener Straße zu benutzen. Ihr Fernbleiben hatte für die Hauptstadt Innsbruck wichtige finanzielle Einbußen zur Folge.


Eine Karte des Wegs den Montaigne von Deutschland nach Italien über Tirol zurückgelegt hatte.

Der Brennerpass bildete mit seiner geringen Höhe von 1.374 Metern von jeher den wichtigsten Alpenübergang von Deutschland nach Italien. Bereits seit der frühen Bronzezeit wurde der Brennerpass regelmäßig als Transitroute überquert. Einen großen Aufschwung erlebte diese Strecke über die Alpen nach der Errichtung einer Römerstrasse unter Kaiser Claudius, welche von Aquilea nach Augsburg führte. Im Mittelalter zogen 66 Kaiser über den Brenner nach Rom, um sich dort vom Papst krönen zu lassen. Den letzten Romzug über diesen Weg unternahm Karl V. im Jahre 1530.

Dienstagmorgen verließen wir die Tiroler Hauptstadt. Zuerst ging es durch die ebene Talsohle des Inn, dann wieder ins Gebirge. Der bequeme Pfad führte uns nach einer Stunde auf einen kleinen Berg, eine Meile entfernt. Wir schauten uns um. Zur Linken erblickten wir eine Reihe weiterer Berge, die, von sanfterer Steigung und breiter ausladend, mit Häusern und Kirchen besät sind und meist bis zum Gipfel bewirtschaftet: eine Vielgestaltigkeit und ein Abwechslungsreichtum, die das Auge erfreuen.

Die Berge rechts waren weniger bewohnt und wirkten insgesamt etwas wilder. Wir setzten unseren Weg fort. Dauernd mussten wir Bäche und Sturzwasser überqueren, die in die verschiedensten Richtungen eilten. Wir fanden aber oben wie unten immer wieder stattliche Dörfer und Marktflecken, auch viele schöne Gasthöfe. Linker Hand zogen zwei Schlösser und zwei kleinere Adelssitze vorbei.

Etwa vier Meilen hinter Innsbruck bemerkten wir auf sehr engem Weg zur Rechten eine großartig gearbeitete, in den Fels eingelassene Bronzetafel mit einer lateinischen Inschrift. Man erfährt: An diesem Ort trafen sich anno 1530 Karl V. und sein Bruder Ferdinand, König von Ungarn und Böhmen.


Darstellung eines Denkmals auf dem Brennerpass in Tirol aus Curioses staats und kriegstheatrum dermaliger Begebenheiten in Tyrol aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die lateinische Inschrift besagt, dass sich an diesem Ort im Jahr 1530 Kaiser Karl V. und sein Bruder König Ferdinand von Ungarn und Böhmen getroffen haben.

Karl hatte zuvor erst Spanien, dann Italien durchreist, wo er zum Kaiser gekrönt worden war; Ferdinand kam gerade aus Pannonien? (so der römische Name Ungarns). Acht Jahre hatten sie sich nicht gesehen und daher einander gesucht, bis sie hier endlich wieder einander umarmen konnten. Zur Würdigung dieses Ereignisses, so schließt die Inschrift, habe Ferdinand den Gedenkstein aufstellen lassen.

Etwas später erblickten wir, als wir durch ein Kastell kamen, das uns den Weg versperrte, unterm Torbogen lateinische Verse, die besagten, dass der Kaiser auf dem Rückweg von der Gefangensetzung des französischen Königs zu Pavia und der Einnahme Roms dort geweilt habe. [89]

Herr de Montaigne meinte, dass es ihm in diesem Gebirgspass, welchen man den Brenner nennt, recht gut gefalle, weil die Landschaft so ein abwechslungsreiches Bild biete. Zu schaffen machte ihm und uns allerdings ein Staub, wie wir ihn so unerträglich dicht noch nie erlebt hatten. Er blieb während des gesamten Übergangs unser ständiger Begleiter.
Michel de Montaigne, Tagebuch einer Reise nach Italien. Seite 89/90
Mit freundlicher Genehmigung des marixverlag, D - Wiesbaden


 

 

 

Weiterführende Links:

Vorleser.net: Montaigne, Essais
Marix-Verlag
Homepage: Montaigne - Ein freier Mensch

 

Andreas Markt-Huter, 09-08-2006

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