Klaus Kordon, Krokodil im Nacken
„Die Familie Lenz, die so dicht an der Grenze nach WestBerlin wohnte, dass der eine oder andere westliche Schornstein zum Greifen nah erschien, trat eine Reise durchhalb Europa an – nur um auf die andere Seite dieser Grenze zu gelangen? Ein Umweg, über den sie sich zuvor oft lustig gemacht hatten, der ihnen aber nun ein wenig unheimlich vorkam. Immer wieder mussten sie einander Mut machend zulächeln.“ (S. 21)
Manfred Lenz will mit seiner Frau Hannah und seinen beiden Kindern Michael und Silke im Sommer 1972 über Bulgarien aus der DDR flüchten. Als sie dabei erwischt werden, kommen sie zunächst für einige Wochen in Bulgarien in Haft, bevor sie nach Ostberlin zurückgebracht werden, wo Manfred ein Jahr lang in Stasi-Haft verbringen muss.
In dem Jahr seiner Gefangenschaft ist Manfred der Willkür des DDR-Regimes ausgeliefert. Er erlebt die düstere Angst, Ungewissheit und Einsamkeit der Isolationshaft, in der sein Zeitgefühl verliert und keine Ahnung hat, was mit seiner Familie passiert ist. Die bedrückenden Verhöre, in denen er mit vermeintlichen Aussagen und Geständnissen seiner Frau konfrontiert wird, die Bespitzelung der Gefangen untereinander und der einschränkdende Haftalltag mit ständig ändernden Haftbedingungen beginnen ihn zunehmend zu zermürben.
Immer wieder betont Manfred, dass gar keine Straftat vorliege, weil sie den zur Last gelegten Fluchtversuch noch gar nicht begangen, sondern abgesagt hatten. Der Haftrichter reagiert nicht auf diese Einwände und die Gerichtsverhandlung selbst erweist sich als reines Schmierentheater. Schon die Vorbereitung und der Versuch einer Straftat werden als strafbar verstanden, was für die Behörden durch die westdeutschen Pässe der Familie Lenz als erwiesen galt. Manfred und Hannah werden zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.
Während der Haft lässt Manfred sein Leben in Berlin Prenzlauer Berg von seiner Kindheit an Revue passieren. Er erinnert sich an die ärmlichen Verhältnisse nach dem Krieg, an die Rückkehr seines Vaters aus der russischen Gefangenschaft und den Einmarsch der sowjetischen Truppen im Sommer 1953 sowie den Tod seiner Mutter und wie Freunde und Nachbarn unerwartet verschwinden. Manfred kommt in ein Kinderheim, wo er zu einem ordentlichen Sozialisten erzogen werden soll. Als er sich nicht fügen will, wird er in einem Jugendwohnheim untergebracht, von wo aus der den Mauerbau im Jahr 1961 beobachten kann. Als er im Laufe der weiteren Jahre nach seiner Wehrdienstzeit, seiner Hochzeit im Hannah und dem Prager Frühling immer stärker am sozialistischen System zu zweifeln beginnt, verstärkt sich die Idee zur Flucht in den Westen immer mehr.
Klaus Kordon rechnet in seinem autobiographisch geprägten Jugendroman mit dem Stasi-System der DDR ab, dem er selbst in einer einjährigen Haft zum Opfer gefallen war. Dabei gelingt es ihm überaus anschaulich die psychische Belastung der Haft, der Bespitzelung und des eigenen Kontrollverlusts durch ein alles kontrollierendes staatliches System aufzuzeigen, das sich in alle Bereiche des privaten Lebens ausbreitet.
Ein überaus lesenswerter Jugendroman zur jüngeren Geschichte, der auch für nichtdeutsche jugendliche Leserinnen und Leser einen Einblick in autoritäre Regime bietet und die unmittelbaren Folgen auf das Leben eines Einzelnen anschaulich aufzeigt. Die spannende Thematik aus einem konkreten historischen Abschnitt eröffnet zudem für den schulischen Unterricht spannende Diskussionsmöglichkeiten, für das eine Lehrerhandreichung mit Materialien für den Literaturunterricht gratis zur Verfügung gestellt wird.
Klaus Kordon, Krokodil im Nacken. Ab 14 Jahren
Weinheim: Beltz & Gelberg Verlag 2023, 800 Seiten, 29,50 €, ISBN 978-3-407-74488-3
Weiterführende Links:
Beltz & Gelberg Verlag: Klaus Kordon, Krokodil im Nacken
Marc Böhmann, Lehrerhandreichung zum Jugendroman „Krokodil im Nacken“
Wikipedia: Klaus Kordon
Andreas Markt-Huter, 23-04-2024