„Isa ließ das Blatt sinken. Adèle. Ihr war ein wenig schwindelig zumute. Der Brief war von ihrer Mutter! Sie nahm ihn wieder auf, starrte auf die Worte, die vor ihren Augen verschwammen, und horchte in sich hinein, wo sich tief in ihrem Magen ein kleiner, schmerzhafter Knoten gebildet hatte. Adèle hatte die Familie schon vor Jahren verlassen. Isa war damals gerade mal vier Jahre alt gewesen und sie hatte so gut wie keine Erinnerung mehr an ihre Mutter.“ (S. 15)
Die 17-jährige Isa ist wie vom Blitz getroffen, als eines Tages ein kleines Päckchen ihre Mutter Adèle ankommt, in dem sich eine Spieluhr mit der Melodie „Sur le Pont d’Avignon“ und ein Brief befinden. Sie versucht mit Isas Vater Kontakt aufzunehmen, um sich mit ihm und den Kindern zu treffen. Ihre Mutter hatte die Familie verlassen, als Isa noch ein Kind war. Seit dieser Zeit war ihre Mutter kein Thema mehr in den Familiengesprächen.
Isa ist entsetzt und vernichtet den Brief, um ihren Bruder Ben zu schützen, der nichts von der Kontaktaufnahme ihrer Mutter erfahren soll. Ben, der sich gerade auf einer Klassenfahrt in der Provence befindet, hat jedoch bereits Kontakt zu seiner Mutter aufgenommen und sich mit ihre getroffen. In einem Telefonat mit ihm, kann Isa die Stimme ihrer Mutter im Hintergrund wahrnehmen. Isas verschweigt ihrem Vater, dem Schriftsteller Johann Durant, der sich gerade auf einer Lesereise für seinen vierten großen Roman befindet, vom Brief ihrer Mutter.
Sie beschließt nach Avignon zu ihrer Tante Claire zu reisen, um ihren Bruder Ben aufzusuchen. Spontan bittet sie Alexander, sie mit dem Auto auf die Reise zu begleiten. Doch das früher ungetrübte kindliche Verhältnis der beiden hat sich verkompliziert, seit sich Alexander eingestehen muss, dass seine Gefühle für Isa weit über eine Geschwisterliebe hinausgehen. Aber auch Isas Gefühle für Alexander haben sich verändert und so ertappt sie sich immer öfter dabei, eifersüchtig auf seine zahlreichen Freundinnen zu reagieren.
Alexander lehnt Isas Bitte ihn mit dem Auto nach Avignon zu fahren zunächst schroff ab, überlegt es sich dann aber wieder anders. In Avignon können die beiden bei Tante Claire wohnen. Dabei kann Isa ein Telefonat ihrer Tante mit ihrem Vater belauschen, der Claire bittet, die Kinder zurückzuhalten. Er will nach Avignon kommen, um den Kindern selbst die Wahrheit über ihre Mutter mitzuteilen.
Isa und Alexander beginnen sich Sorgen zu machen und beschließen Ben in der Jugendherberge seiner Klasse aufzusuchen. Sein Klassenlehrer teilt ihnen zu ihrer Überraschung mit, dass Ben bereits am Vortag nach Hause abgereist sein soll. Dem Lehrer sei jedoch vorgekommen, dass ihn etwas am Vortag verstört habe. Voller Sorger machen sich Isa und Alexander auf die Suche nach Ben, den sie immer noch in Avignon vermuten.
„Everything we left unsaid“ setzt sich mit der Bedeutung von Familie und der Suche nach der eigenen Identität auseinander. Dabei wird gezeigt, dass im Mittelpunkt einer Familie das Vertrauen steht, das man zueinander aufbaut und wie wichtig es ist, die eigenen Ängste, Hoffnungen und Wünsche mit jemandem zu teilen.
Eine überaus lesenswerte Coming-of-Age-Geschichte mit viel Gefühl und Tiefe, in dem die erste große Liebe, die Herausforderungen des Erwachsenwerdens, die Komplexität familiärer Beziehungen und die Suche nach der eigenen Identität thematisiert werden. Dem fesselnd geschriebenen Jugendroman gelingt es, seine Leserinnen und Leser immer tiefer in die Handlung hineinzuziehen und den Spannungsbogen bis zum Schluss zu steigern.
Kathrin Lange, Everything we left unsaid. Ab 14 Jahren
Würzburg: Arena Verlag 2024, 384 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-401-60677-4
Weiterführende Links:
Arena Verlag: Kathrin Lange, Everything we left unsaid
Wikipedia: Kathrin Lange
Andreas Markt-Huter, 20-03-2025