Schon vom Titel an steht eine schicksalshafte Verwechslung im Vordergrund. Die Ähnlichkeit von Zwillingen erzwingt nicht direkt einen Gleichklang der Lebensläufe. – Das ist die Stunde der Pädagogen und Gutwilligen, sie können sich nämlich die erfolgreiche Intervention auf die Fahnen schreiben, wenn die Erziehung des einen Zwillings gelingt, während der andere ohne Pädagogik vor die Hunde geht.
Johann Kapferer schreibt seine Jugendkrimis oft aus der Haltung einer romantischen Tiroler Welt heraus, wo man Gut und Böse auf hundert Metern Entfernung entscheiden kann, wo alle guten Willens sind, ein sportlich-laszives Leben hinzukriegen mit viel Schmäh im Smalltalk, und wo die Bauern im Dorf noch das Sagen haben, auch wenn sie längst ihre Grundstücke verkauft haben.
In diesen romantischen Rahmen ist der Plot der Zwillingsbrüder Mick und Mark wie im Zeichentrickfilm eingestickt.
Mick ist angehender Schirennläufer und Mark quält sich in aufgelassenen Lagerhallen mit Drogen herum. Beide erfahren während des Abenteuers „Verwechslung“, dass sie Zwillinge sind, die einst zur Adoption freigegeben worden sind.
Der „gute“ Mick wächst bei einer noblen Neusiedlerfamilie auf, der „schlechte“ Mark in einer desaströsen Jugendeinrichtung des Landes. Beide Erziehungsstätten liegen nicht allzu weit von einander in einem Vorort-Dorf von Innsbruck.
In diesem Ambiente ist auch eine scharfe Kritik an den früheren Erziehungseinrichtungen des Landes eingewoben. Der Roman Schattenzwillinge kann durchaus als Literatur zur Versöhnung und Aufarbeitung Tiroler Pädagogik gelesen werden.
Der Krimi wird zusammengehalten und gelöst von einem Urviech aus der Landwirtschaft, ein gewisser Korbian Krug fährt mit seinem italienischen Dreiradler tagaus tagein durch Zirl und hält das öffentliche Leben in Schwung. Er kümmert sich um Randfiguren und andere Unikate, sodass er der ideale Mediator für jene verzwickten Situationen ist, die er oft selbst ausgelöst hat.
Während einer Drogenexkursion im Bahnhofsgelände bekommt Mark ein Gespräch aus der Schlepperszene mit. Noch ehe er genauere Daten zu einer bevorstehenden Schleppung einordnen kann, wird auch schon einer aus besagtem Milieu erschossen und abgelegt. Die Gangster werden von einem Albino angeführt, der Kontakte zu einem Villenbesitzer in Hötting hat.
Kurzum, es geht zu wie in einem internationalen Krimi, weil ja auch das Thema Schleusung international ist.
Die Gangster jedenfalls fühlen sich von Mark ertappt und verraten und wollen ihn entführen und beseitigen. Da sie nicht genau hinschauen, nehmen sie den nächstbesten Jugendlichen in ihre Fänge und verschleppen ihn auf eine Hochalm.
Dort kommt es zu einem sagenhaften Showdown, indem sich die Akteure verhalten wie Helden aus der bodenständigen Sage vom „Gnaup“. Der Entführer erleidet einen grässlichen Felstod, der falsche Entführte Mick wird befreit. Der Unglückspilz Mark, der aus der Drogenperspektive in den Fall geschlittert ist, bekommt fachliche Hilfe.
Nicht nur der umtriebige Landwirt wird gefeiert, auch die Schattenzwillinge bekommen ihre Belohnung, der eine in Gestalt eines Schirennens namens „weißer Rausch“, der andere durch Befreiung aus dem weißen Rausch der Drogen.
Schattenzwillinge ist natürlich ein Erwachsenenkrimi, den Kids jeglichen Alters lesen können, am besten in der Art, wie man die Fotoalben der Großeltern durchblättert.
Anhand der Figur des skurrilen Landwirts taucht noch einmal jenes Tirol auf, das die jetzigen Boomer einst durch Spiel in freier Wildbahn lieben und zähmen gelernt haben.
Dem Genderwahn setzt der Autor schlichten Dialekt entgegen, worin bekanntlich die Geschlechterwelt nur aus zwei Segmenten besteht. Der Sermon des Korbian wird im Anhang in groben Zügen übersetzt, um dadurch die Raffinesse unmotivierten Fluchens und Besserwissens von Käuzen zu hinterfragen.
Um schließlich das N-Wort zu umgehen, das in dieser Welt der Gewalt und Heimkultur der fünfziger Jahre unbedacht vorkommen könnte, wird der Gangster einfach Albino genannt. Und Albino wird man wohl noch sagen dürfen.
Johann Kapferers „Schattenzwillinge“ ist ein leutseliger Roman über das pädagogische Lautenspiel vergangener Jahre, über das man heute oft nicht den richtigen Ton trifft, um es trotz aller Verwundungen frei zu erzählen.
Die Vignetten von Yeti Beirer stellen dazu einen hellen Versuch dar, jedes Kapitel mit einem fröhlichen Gesicht einzuläuten.
Johann Kapferer, Schattenzwillinge. Ein Jugendkrimi aus Tirol. Mit Illustrationen von Christian Yeti Beirer. (Erstausgabe 2012, Stumme Schreie aus der Dunkelheit.)
Zirl: BoD Verlag 2025, 256 Seiten, 17,00 €, ISBN 978-3-7693-8761-2
Weiterführende Links:
BoD Verlag: Johann Kapferer, Schattenzwillinge
Homepage: Johann Kapferer
Homepage: Christian Yeti Beirer
Helmuth Schönauer, 08-04-2025