Gesellschaft | Kultur

Friedrich Hahn, Die Heimsuchung

h.schoenauer - 07.02.2025

friedrich hahn, die heimsuchungWer im literarischen Kosmos des Friedrich Hahn Heldin oder Held sein will, muss sich die Qualität eines Sandkorns im Stundenglas zulegen. Der mehrdeutige Begriff „Heimsuchung“ stellt sich im höheren Alter oft in den Weg einer glatten Biographie. Einerseits ist darunter eine soziale Einrichtung zu verstehen, worin Pflege und Obsorge als kleines Paradies angeboten werden, andererseits lässt sich eine amorphe Lebenssituation durchaus als pure Bedrohung deuten. „Ist die Suche nach dem Heim abgeschlossen, beginnt die Heimsuchung.“

Im Mittelpunkt des Romans steht der einundsiebzigjährige Siegi, der im Heim an der Uferstraße untergekommen ist. In seiner aktiven Zeit hat er als Tierpfleger in Schönbrunn gearbeitet, aber das frühere Leben spielt ab nun keine Rolle mehr, hier wird jeder an seinem Handicap gemessen, das er zu bewältigen hat. Siegi hat einen „welken“ Fuß und geht am Stock, zur Einführung in die neue Lebenssituation leiht er sich einen Rollator aus und umrundet die neue Wohnstatt.

Johann Hinrich Claussen, Gottes Bilder

andreas.markt-huter - 05.02.2025

johann hinrich claussen, gottesbilder„Selten kann man sich so fremd fühlen, wie beim Besuch eines Museums mit alten christlichen Bildwerken. […] Deshalb versucht dieses Buch, eine Art Ausstellung zu gestalten. Sie besteht aus zwölf Sälen, die einen Weg von den Anfängen durch die wichtigsten Epochen bis zur Gegenwart anbieten und einen Überblick über wesentliche Formen, Gattungen, Motive und Themen zu geben.“ (S. 15)

Johann Hinrich Claussen lässt in seinem Buch die Leserinnen und Leser wie durch eine Ausstellung mit zwölf Sälen wandeln, in denen christliche Kunst am Beispiel exemplarisch ausgewählter Gemälde und Darstellungen von ihren Anfängen bis in die Gegenwart vorgestellt und detailliert erläutert wird.

Lydia Davis, Unsere Fremden

h.schoenauer - 03.02.2025

lydia davis, unsere fremdenDie ideale Shortstory ist ein fiktionaler Kitt zwischen zwei scheinbar realen Situationen. Sie kann folglich jederzeit an jedem Ort auftreten und verändert ihr Erscheinungsbild zusammen mit dem Plot, den sie vorgibt zu erzählen.

Lydia Davis schreibt ihre Shortstorys jeweils auf konkrete Publikationsanfragen, nach ein paar Jahren ergibt sich daraus oft ein Sammelband. Da die Geschichten nicht auf Vorrat, sondern aus Notwendigkeit geschrieben sind, erzählen sie meist ein Stück Gesellschaftskritik mit, ehe die Shortstory als Kern einer Fiktion zum Zuge kommt. Und selbst dieser Kern ist meist von einer Rahmenhandlung gehalten, die oft das Wesen der Erzählung ausmacht.

Elsbeth Wallnöfer, How to wear a Dirndl

h.schoenauer - 27.01.2025

elsbeth wallnöfer, how to wear a dirndlWenn etwas als Luftikus-Ereignis für gute Laune sorgen soll, steht es der Wissenschaft nicht gut an, durch tiefernste Forschung die Stimmung zu vermasseln. Das Dirndl ist ein Dresscode für gute Laune, Freizeit und ausgelassene Stimmung, das bevorzugte Einsatzgebiet ist das Münchner Oktoberfest, auf dem vermutlich niemand wegen seiner großer Gedanken unterwegs ist.

Elsbeth Wallnöfer kommentiert in ihrem kulturpolitischen Essay augenzwinkernd Geschichte und Kult rund um das Dirndl. Ohne moralische Belehrung ist ihr Ton wohltuend milde, der dem Themenfeld Tracht, Dirndl und Rustikalität zuteil wird.

Im besten Fall kommt der Jux als Originalzitat an die Oberfläche des Alltags, wenn etwa zwei Sexfilme genannt werden, die eine ganze Generation in den 1970ern aus dem Gewand geworfen haben. „Unterm Dirndl wird gejodelt“ (1973), „Liebesgrüße aus der Lederhose“ (1973).

Susanne Schröter, Der neue Kulturkampf

andreas.markt-huter - 24.01.2025

susanne schröter, der neue kulturkampf„Woke Ideologien entstammen den Universitäten. Dort sind sie entstanden, dort werden sie gelehrt, angeeignet und erprobt. Professoren, Instituts- und Fakultätsleitungen, ja selbst ganze Präsidien werden von woken Aktivisten und ihren akademischen Unterstützern vor sich hergetrieben. Diese geben vor, im Namen von Gerechtigkeit, Humanität und Weltoffenheit zu agieren und sich dem Kampf gegen Diskriminierung verpflichtet zu fühlen. Tatsächlich geht es um die Durchsetzung einer totalitären Ideologie, die weder gerecht noch human ist.“ (S. 13)

Susanne Schröter setzt sich mit gesellschaftlich ideologischen Strömungen auseinander, die zunehmend das politische Leben und den menschlichen Alltag berühren und ihre Vorstellungen und Forderungen durchzusetzen versuchen. Das Sachbuch „Der neue Kulturkampf“ bietet dazu eine kompetente und verständliche Analyse der Grundlagen und Ziele „woker Bewegungen“.

Gottlieb Pomella, An Land gespült / Glücklich gefallen

h.schoenauer - 22.01.2025

gottlieb pomella, poesieMeist sind es die Antriebskräfte Aufbruch und Ausklang, die Menschen Gedichte formen lassen, um für sich etwas Klarheit zu schaffen über die seltsamen Vorgänge rund ums Leben.

Tatsächlich beginnen viele unbeschwert in der Jugend mit dem Gedichte Schreiben, während es wenige sind, die sich im Alter noch einen Traum erfüllen, nämlich das Erlebte auf der Wäscheleine der Poesie aufzuspannen.

Gottlieb Pomella hat sich nach einem von Bildung gespeisten Berufsleben mit knapp siebzig aufgemacht, die Welt hinter dem Filter der Poesie in handfesten Gedichten und prosaischen Einsprengseln zu beschreiben. Seine beiden Gedichtbände „An Land gespült“ und „Glücklich gefallen“ lassen sich einzeln lesen, indem etwa das lyrische Ich zuerst in Aufbruchstimmung das Leben in die Hand nimmt und später im zweiten Teil desillusioniert mit dem Verklingen der Wünsche und Ideen zu kämpfen hat, die beiden Bücher lassen sich auch als zeitgenössische Klammer der Pandemie-Epoche begreifen, sind die Bücher doch 2020 und 2023 erschienen.

Thomas Schafferer, SELBST. Porträt eines Künstlerlebens

h.schoenauer - 20.01.2025

thomas schafferer, selbstDas Jahr ist ein Teig, aus dem der Künstler unermüdlich seine Kekse heraussticht. Allmählich bildet sich daraus ein Selbst, eingespannt zwischen den Kunst-Schaffenden und den Kunst-Konsumierenden.

Thomas Schafferer arbeitet ein Jahr lang an seinem Selbst, indem er ein strenges Ritual entwickelt, wie der Zeitfluss in einzelne Tageskader aufgelöst werden kann. Im Archivwesen nennt man diese normierten Eingriffe in einen dynamischen Prozess „Formatismus“. Das Format bestimmt dabei den Inhalt, das Containment den Content.

Die Spielregel für SELBST ist als Installationsbeschreibung für eine Kunstaktion zu verstehen, worin Events, Ausstellungen, Lesungen, Buch und Archivierung zu einem Format vereinigt sind.

Simon Konttas, Stille Stunden

h.schoenauer - 15.01.2025

simon konttas, stille stundenStille ist in der Literatur ein magischer Raum, der das Ich umschließt, ohne es zu bedrücken. Im Gegenteil, Stille fordert die Reduktion auf das momentan Wesentliche geradezu heraus. Die Dauer dieses Zustands kann ein paar Tage dauern wie bei der „Stillen Zeit“ um Weihnachten herum, oder einer ganzen Epoche den Stempel aufdrücken, wie in Henry Millers Roman „Stille Tage in Clichy“.

Simon Konttas schickt das lyrische Ich in den Modus von „Stillen Stunden“, die daraus resultierenden Gedichte handeln einerseits von Ereignissen, an denen sich die Stille bricht, andererseits ermöglichen sie den Lesern, selbst die Konsistenz stiller Stunden zu erleben.

Selina Holešinsky, Schaltiere am Waldboden

h.schoenauer - 13.01.2025

selina holesinsky, schaltiere am waldbodenEin Dorf ist in der Fiktion ein gern gesehener Ort, um darin Idylle, Schrecken, Wokeness oder Klimaschutz in Szene zu setzen. Mit Wimmelbildern der Kindheit wird dieser Ort gerne als analoge Wunderwelt dargestellt, worin sich die erwachsen gewordenen Kinder später einmal zurückziehen werden. Die Wirklichkeit ist freilich auch in Romanen alles andere als eine heile Welt.

Selina Holešinsky zeigt im Roman „Schaltiere am Waldboden“ die heranwachsende Antonie, im elterlichen Kosenamen Marillchen genannt, wie sie zwischen Mutti und Vati im Aussteigerdorf „Autofrei“ groß werden muss. Das Gesellschaftsleben oszilliert zwischen intellektueller Idylle, Sektenideologie und haptisch erfahrbarem Bilderbuchgefühl. Die Ich-Erzählerin nimmt die Welt wörtlich und einmalig, wie es alle Heranwachsenden tun müssen, die zu sich selbst keine alternativen Erfahrungen sammeln können.

Minu Ghedina, Am Rande das Licht

h.schoenauer - 09.01.2025

minu ghedina, am rande das lichtKunst kann zur Erbkrankheit werden, wenn man als Kind im Licht großer Künstlereltern aufwachsen muss. Minu Ghedina spielt im Künstlerroman „Am Rande das Licht“ mit dem Wechselspiel von eigener Entwicklung und allgemeinem Anspruch in der Gesellschaft. Wie lässt sich der Rand eines Bildes ausleuchten, ohne dass das Auge vom Bannstrahl der mediokren Mitte verbrannt wird?

Künstlerromane firmieren oft als Comingout-Romane, wenn es den Individuen gelingt, im Kunstbetrieb heimisch zu werden. Andererseits gleichen diese Biographien durchaus fehlgeleiteten Brüt-Vorgängen, die keine Künstlerkarriere ausschlüpfen lassen. Sarkastisch formuliert: Die Pubertät des Künstlers dauert bis ins fünfundzwanzigste Lebensjahr, ehe das Geschöpf normiert ist und einen seriösen Beruf ergreift.