ludwig roman fleischer, verlorenVerloren stellt man sich am besten als eine Erzählschüssel vor, in der wie bei einer Tombola Geschichten liegen, die „Gedanken-verloren“ gezogen werden können. Jede einzelne Erzählung hat einen unvergleichlichen Plot, der sich rasch ins Leseregister des Users einprägt. Innerlich verbunden sind die Geschichten durch die Formel: Alle Helden haben irgendwie oder irgendwas verloren.

Ludwig Roman Fleischer hat eine einzigartige Publikationsmethode entwickelt, um der Unsitte auszuweichen, das Lebenswerk als vorgelassenen Papierhaufen in einem Institutskeller zu vergraben. Er stellt aus seinem umfangreichen Erzählwerk sogenannte Jahresbände zusammen, die ein besonders drängendes Problem behandeln. Das aktuelle Thema lautet: Wie geht man mit Niederlagen und Verlusten um.

hannes vyoral, europa - eine reiseEine Reise durch Europa ist mit einem Brettspiel vergleichbar. Auf dem Kontinent als geographischer Unterlage zieht das lyrische Ich mit seinem Körper Spuren der Tagesverfassung. Mit der Zeit ergibt sich ein plastisches Stimmungsbild, das sich als geographisches, politisches und subjektiv-lyrisches „Kunstwerk“ lesen lässt.

Hannes Vyoral hat in den letzten Jahren ausgiebige Reisen durch Europa unternommen, die ihn im Westen bis weit in den Atlantik hinaus getrieben haben, im Osten nach Moskau oder in die Ukraine. Vieles geschah zu einer Zeit, als das noch möglich war. Überhaupt sind Reiseberichte der Gegenwart gekennzeichnet vom Gefühl des „letzten Blicks“, denn entweder versinken die geschauten Inseln im Meer, zerfallen die bestiegenen Gipfel im Klimawandel, oder versinken die nostalgischen Reminiszenzen an die Habsburger-Monarchie endgültig im kriegerischen Schutt.

felix philipp ingold, die zeitinselpätestens seit Daniel Defoe gilt ein entlegenes Eiland als ideale Erzählfläche, um darauf Lebens- und Weltentwürfe spielen zu lassen. Wenn diese Insel dann noch einer definitiven Zeit entrückt wird, indem quasi jede Zeit auf der Insel Platz hat, dann erweist sich die „Zeitinsel“ als höchst verdichtetes Material, das astrophysikalisch vielleicht an ein schwarzes Loch herankommt.

Felix Philipp Ingold konstruiert seine Zeitinsel als Kunstfläche, auf der sich Projekte, Biographien, Spintisierereien und Träume installieren lassen. Im Untertitel nennt er dieses Unterfangen „Stationenbericht“, es könnte also mit einer kultur-sportlichen Veranstaltung verglichen werden, auf der man sich während des Rundlaufs allerhand Stempel ins Lektüreheft stempeln lässt als Beleg, dass man die Stationen aufgesucht hat.

dietmar füssel, der verklärteIn Denksphären mit mannigfaltigen Spielregeln sind die verwendeten Begriffe oft labil wie Quanten, sie können zu Beginn eines Satzes etwas anderes bedeuten als an dessen Ende. Vor allem Theologie und Literatur werden diesem Metier zugerechnet, dessen Protagonisten oft als Schwurbler auftreten. Die Sprache hält für diese Geschichten exquisite Begriffe parat, die wie Leitpflöcke den Diskurs durch den Nebel führen. – „Der Verklärte“ ist so ein Begriff.

Dietmar Füssel, längst ein „Marken-Autor“ für groteske Geschichten, lässt den erfolglosen Schriftsteller Didi F. als Prototyp für eine Heilsgeschichte sterben. Er wird in provinzieller Manier von einem Lokalpolitiker überfahren, der Fahrerflucht begeht. Erbärmlicher kann man als Dichter wirklich nicht sterben.

gunter falk, vom verschwinden des autorsIn einem funktionalen Lehrbild werden literarische Aufsätze manchmal als Bodenmarkierungen gelesen, die den Verkehrsstrom der Literatur regeln und entflechten sollen. Wie bei echten Bodenmarkierungen verlieren die literarischen oft ihren Sinn, wenn die entsprechende Gegenwart vorbei ist. Aufsätze aus verflossenen Zeiten gleichen dann grobkörnigen Linien auf Asphaltfragmenten, die schon längst von Pionierpflanzen umkreist sind.

Ein solches nostalgisches Bild sollte man sich vielleicht vor Augen halten, wenn man die Essays, Studien, Kommentare und Kritiken im Sammelband „Vom Verschwinden des Autors“ liest. Der Herausgeber Günter Eichberger hat bislang verstreute Aufsätze pfleglich zusammengefasst und mit einem einfühlsamen Nachwort hinterlegt.

peter simon altmann, die nächte von bangkokDas sogenannte erotische Paradoxon zeigt sich in der Literatur, wenn der Schauplatz immer heißer und die Helden immer cooler werden.

Peter Simon Altmann wendet sich in seinen sieben Erzählungen diesem Paradoxon zu, in ausgeklügelten Erzählverfahren werden hitzige Schauplätze aufgesucht, um darin die Helden als kühl agierende Denker zu installieren. „Die Nächte von Bangkok“ erfüllen das spontane Versprechen, Geheimnisse der Eros-Stadt bei Nacht zu lüften. Zusätzlich entsteht für die Leser eine vollends philosophische Befriedigung, die wenig mit hormonellen Zuständen zu tun hat.

paul divjak, ich liebe österreichWährend in den meisten Ländern es für den Patriotismus genügt, wenn man die jeweilige Nationalhymne beherrscht, muss man in Österreich mangels Selbstbewusstsein des Landes noch ein paar pfundige Sätze aufsagen, die von den Vorrednern ausgesprochen massenhaft herumliegen. Zudem ist das Land ein Paradies für verschmitzt-denkende Schriftstellerinnen, von denen wegen der vielen Leseauftritte jede einen guten Sager auf Lager hat.

Paul Divjak stellt mit seiner patriotischen Sätze-Fabrik die neuesten Sprüche über Österreich zur Diskussion. Sein Projekt ist ein Meilenstein des verbalen Patriotismus, werden doch die Sager mit künstlicher Intelligenz hergestellt.

heimo mürzl, zum fressen gernUnter dem Emblem eines gelben Kürbisses, der von der Ferne der berühmten Yellow Submarine der Beatles ähnelt, erscheinen in der Steiermark regelmäßig Überlegungen, wie Popkultur, Alltag und Kürbis in Einklang zu bringen seien.

„Zum Fressen gern“ ist die aktuelle Anthologie, die sich naturgemäß mit Tieren beschäftigt, freilich unter dem künstlerisch-grotesken Aspekt von Songs und Stimmungen, die einem beim Füttern, Liebkosen oder Aussetzen von Haustieren durch den Kopf gehen.

homer, die odyssee„Warum überhaupt sollte man jetzt die Odyssee lese? Nun, sie ist eine fabelhafte und spannende Reisegeschichte, obendrein gibt es Liebe, Hass, Schiffbruch, Mord und Totschlag und Himmel und Hölle. Auch erzählerisch ist die Odyssee ein hochraffiniertes Meisterwerk. Und ja, die Irrfahrten des Odysseus sind neben der Bibel eines der Ur-Narrative unsere Literatur. […] Aber das Beste: Die Odyssee hat bei näherem Hinsehen viel mit unserer heutigen, modernen Welt zu tun.“ (S. 7)

Die Odyssee ist das zweitälteste Werk der europäischen Literatur und dürfte zwischen dem Ende des 8. und Anfang 7. Jahrhunderts entstanden sein. Wie die Ilias wird die Odyssee dem mythischen Dichter Homer zugeschrieben. Inhaltlich schließt das Epos schließt an die Handlung der Ilias an und besingt die Irrfahrten des griechischen Helden Odysseus, der von der Eroberung Trojas bis zu seiner Rückkehr nach Ithaka zehn Jahre durch die verschiedensten Orte der damaligen bekannten Welt getrieben wird.

eva maria gintsberg, schichtgedichteNicht umsonst rufen Piloten, wenn sie abstürzen, noch eine Wortfügung aus ferner Kindheit in den Voice-Recorder, ehe Stille dem harten Aufschlag folgt. Mit zunehmendem Alter berichten Sprachanwender verschiedenster Klangfarben davon, dass ihnen in Augenblicken der Überraschung, der Freude und des Entsetzen Partikel aus der Kindheit in den Sinn kommen.

Eva Maria Gintsberg lassen diese archaischen Wortspuren der Kindheit keine Ruhe, wenn sie als Schauspielerin und Autorin den Wurzeln des Sprechens nachgeht. Ein elementares Erlebnis als Kind in einem Tiroler Nachkriegsdorf ist das Auftauchen einer neuen Sprache, wenn „die Frembden kommen“. Diese Gebrauchssprache des Tourismus überlagert allmählich die Mundart, die bislang alles abdecken konnte, was für Hausrat, Arbeit und Feiertag notwendig gewesen ist.