Literatur

Rudolf Kraus, versvermessung

h.schoenauer - 25.04.2025

Rudolf Kraus, versvermessungLyrik wird gespeist aus einem Befinden, das als Ur-Ozean bezeichnet wird. Der Essayist Alexander Kluge vermutet von diesem Urzustand, dass er den Subjekten eine stabile Körpertemperatur vermittelt, die ungefähr bei 37 Grad liegt.

Rudolf Kraus rückt diesem poetischen Raum mit einer „Versvermessung“ auf den Leib. Dabei macht er sich die Fähigkeit von Lyrik zu Nutze, wonach diese gleichzeitig als Gesang, arithmetische Operation oder rhythmische Aktion auftreten kann.

Ein Blick auf die Gliederung dieser poetischen Masse lässt einen an einen „lyrischen Auszählreim“ denken:

Regina Hilber, Am Rande

h.schoenauer - 07.04.2025

Regina Hilber, Am RandeIn beinahe geheim überlieferten Lebenserfahrungen ist oft die Rede davon, dass die fettesten Gräser am Rande eines Feldes anzutreffen sind. Und auch im weiten Feld der Kultur gilt die Erfahrung, dass sich die essentiellen Dinge oft am Rand abspielen.

Regina Hilber wendet in ihren Essays „Am Rande“ ihr Augenmerk diesen Randzonen zu, die das genaue Gegenteil einer sogenannten Randnotiz sind. Sie stellt das jeweilige Thema in den Mittelpunkt authentischer Erfahrungen und entrückt es dadurch dem Rand. Ihre Essays sind nämlich „Versuche“ im wörtlichen Sinn, Reise- und Lektüreerfahrungen zu einem neuen Thema zu verschmelzen. Und wie bei ungewöhnlichen Versuchen üblich, ist auch der Leser dazu angehalten, seine Lektüre des Essays als offenen Versuch des Lesens zu betreiben.

Kurt Leutgeb, Berlin & Paris

h.schoenauer - 26.03.2025

 Kurt Leutgeb, Berlin und ParisSeit der Literaturmarkt die einzelnen Werke verwechselbar macht und im Sinne der KI einheitliche Texte einfordert, müssen die letzten ums Lesen und Schreiben Kämpfenden neue Publikationsformen entwickeln. Der Sisyphus Verlag leistet sich dabei zwei Experimente. Im Falle von Ludwig Roman Fleischer werden etwa seine Werke in eine Themen-Trommel geschüttet und neu gemischt und verdichtet. Im Falle von Kurt Leutgeb werden unter dem Aspekt einer Gesamtausgabe mehrere Stufen der Edition eines Werks vorgestellt, dabei wird die Rezeptionsgeschichte wesentlicher Teil der Erzählung.

Kurt Leutgeb stellt sein Projekt „Berlin & Paris“ zweimal vor. Dadurch wird offengelegt, wie sich der gleiche Stoff einmal als Roman und ein andermal als Novelle an das Lesepublikum heranschleicht. In beiden Fällen ist die Auflage überschaubar, sodass man als Autor zu jedem Genre quasi die Gesamtzahl der Lesenden im Auge behalten kann.

Florian Neuner, Die endgültige Totalverramschung

h.schoenauer - 16.03.2025

Florian Neuner, Die endgültige TotalverramschungDer Höhepunkt an literarischer Lieblosigkeit wird oft als Ramsch zusammengefasst. Dieser zeigt sich als monotone Talk-Sendung, wenn im Sitzkreis Sätze über Buchcovers ausgespuckt werden, die man schlampig in die Kamera hält. Er zeigt sich als gigantische Schütten, die in den Eingangsbereichen von Buchhandelsketten ausgelegt sind. Und der Ramsch steckt schließlich auch in jenen versiegelten Thementaschen, die zur Zentralmatura in Deutsch österreichweit aufgerissen werden, um mit vorgefertigten Satzmodulen eine KI-generierte Zusammenfassung der Einheitsmeinung zu provozieren.

Florian Neuner liefert mit dem Genre „Ungekürzte Ausgabe“ das volle Programm an Totalverramschung ab. Seinen Text könnte man als ultimativen Roman lesen, worin alle erdenklichen Floskeln zusammengetragen sind. Es könnte sich aber auch um einen Schelmenroman handeln, in dem die Literatur als Heldin sich selbst auf die Schaufel nimmt. Und für seriös angehauchte Gemüter ist dieses „Erzählprojekt“ eine raffinierte Kritik am Literaturbetrieb, wie Paul Pechmann im Vorwort erläutert.

Martin Maier, Geht auch anders

h.schoenauer - 09.03.2025

martin maier, geht auch andersDie meisten Weisheiten zum Alltag sind so unauffällig formuliert, dass man sich zwar an sie hält, aber kaum als Literatur oder Lebenskunst wahrnimmt.

Martin Maier geht in seinem Alltags-Vademecum „Geht auch anders“ diesen scheinbar über-vernünftigen lapidaren Erkenntnissen mit einem grotesken Lebensbüchlein nach. Darin formuliert ein „Held ohne Eigenschaften“ in einer Art öffentlichem Selbstgespräch bemerkenswerte Einschätzungen zu jener Lage, in die ein Durchschnittsmensch täglich versetzt wird, sobald er nachzudenken anfängt.

Rudolf Lasselsberger, Junihitze

h.schoenauer - 07.03.2025

rudolf lasselberger, junihitzeWas geschieht mit all den Nachrichten, die ununterbrochen aus dem Netz, TV und aus Zeitungen fallen? – Sie kondensieren zu Junihitze, die über ein Kippfenster zwischen dumpfer Wohnung und dampfender Terrasse hin und her schwebt. Sie macht den Helden schlaflos und schwindlig.

Der Held in „Junihitze“ von Rudolf Lasselsberger ist so geschafft, dass er die meiste Zeit als Doppelspitze auftreten muss. In einem dialektischen Set ähnlich Wladimir und Estragon in Samuel Becketts Warten auf Godot treten Franz und sein Ich auf, indem sie jeweils sich selbst in einem bestärkenden Monolog Seufzer, Abnormitäten und Störungen zuraunen.

Janus Zeitstein, Morphopoetische Rhapsodie

h.schoenauer - 24.02.2025

janus zeitstein, morphopoetische rhapsodieAuch für Bücher gilt: das Unerwartete macht oft die größte Freude. Janus Zeitstein stiftet mit seiner „Morphopoetische Rhapsodie“ einen Moment lang Verwirrung, um dann die Leser mit beinahe magnetischem Glücksversprechen ins Buchinnere zu ziehen.

Dabei dient der Titel als Programm: a) Rhapsodie als Genre für Bruchstückhaftes oder aus losen Teilen Zusammengeflicktes, b) morphopoetisch als freie Erscheinungsform der Poesie. Zusammengesetzt ergibt sich ein positiv geladener Begriff, der ähnlich einem Medikament schon durch das laute Ablesen seines Markennamens einen Heilungsprozess in Gang setzt.

Thomas Schafferer, SELBST. Porträt eines Künstlerlebens

h.schoenauer - 20.01.2025

thomas schafferer, selbstDas Jahr ist ein Teig, aus dem der Künstler unermüdlich seine Kekse heraussticht. Allmählich bildet sich daraus ein Selbst, eingespannt zwischen den Kunst-Schaffenden und den Kunst-Konsumierenden.

Thomas Schafferer arbeitet ein Jahr lang an seinem Selbst, indem er ein strenges Ritual entwickelt, wie der Zeitfluss in einzelne Tageskader aufgelöst werden kann. Im Archivwesen nennt man diese normierten Eingriffe in einen dynamischen Prozess „Formatismus“. Das Format bestimmt dabei den Inhalt, das Containment den Content.

Die Spielregel für SELBST ist als Installationsbeschreibung für eine Kunstaktion zu verstehen, worin Events, Ausstellungen, Lesungen, Buch und Archivierung zu einem Format vereinigt sind.

Martin Winter, WAH! 哇!

h.schoenauer - 13.12.2024

martin winter, wahEin Laut, ein Seufzer, ein Schnauben der Verachtung – in der Lyrik erwächst aus einem kleinen Zeichen ein großer Vorgang.

Martin Winter stellt das gesamte Jahr 2017 unter dieses Zeichen WAH!, das von vorneherein magisch wird, wenn es von drei Sprachen umkreist ist. Die Gedichte „handeln“ vom Ablauf eines Jahres und „spielen“ im Kopf eines lyrischen Ichs, das ständig zwischen den Sprachen hin und her schaltet. Um für die Leser ein wenig Orientierung anzubieten, sind die Texte in vier Sprachblöcke unterteilt. German Poetry (5) / English Poetry (81) / Chinese Poetry (125) / Mixed Up Poetry (143).

Da das Schlüsselgedicht „WAH!“ in allen Abteilungen vorkommt, ist zu vermuten, dass der  Stoff der Gedichte in allen Sprachen ähnlich abgehandelt ist. Als Leitmotiv ist jedenfalls fix der Mond installiert, der als Lampion, Banane, Fenster oder Lichtquelle regelmäßig vorbeischaut. Womöglich unterliegt er einer eigenen Regel, wie das „Regelgedicht“ vermuten lässt.

Hanne Römer, DATUM PEAK – Eine Expedition

h.schoenauer - 25.11.2024

hanne römer, datum peakVon Forschenden kennen wir meist nur ihre Ergebnisse, Reisen und Laborberichte. Nur selten gelingt es uns Lesenden, in ihre Köpfe zu schauen um zu erfahren, wie sie ticken. Und stimmt es wirklich, dass sie für sich alle eine Geheimsprache verwenden?

Hanne Römer startet mit „Datum Peak“ ein Projekt, in dem diverse Zeichensysteme und Sprechweisen daraufhin untersucht werden, ob wissenschaftliches Denken einen Einfluss auf die Psyche ihrer Helden hat. Dieses Modell ist in einem Nachsatz am Ende des Textes angefügt und kann als Regieanweisung gelesen werden.