Als Katastrophe gilt im Tourismus generell jedes Phänomen, wonach die Jahreszeiten aus dem gewohnten Bild ausbüchsen. Winter ohne Schnee, Herbst ohne Blätter, Frühjahr ohne Blüten gelten als Desaster.

Martin Kolozs nimmt diese negativen Idealbilder zum Anlass, um darin eine Künstler-Karriere zu installieren. Sommer ohne Sonne zeigt einen Mann, der am Höhepunkt seiner Liebes- und Genitalfähigkeit ohne Sonne einem diffusen Horizont entgegen dämmert.

Die Literatur schafft die Möglichkeit, die Zeit so zu verdichten, dass sie in einem Wimpernschlag untergebracht werden kann. Diese Verdichtung lässt sich auf ein ganzes Leben ausdehnen, so dass in quasi in einem Standbild der Erinnerung alles aufgezeichnet ist.

Anna Rottensteiner führt eine Ich-Erzählerin durch eine scheinbar klaglose Kindheit herauf bis zu jenem Punkt, an dem das Leben abgerundet und seltsam offen ist. In den Stationen Sommer-Kindheit, Sommer-Tourismus und Daseins-Herbst reflektiert die Erzählerin über eine makellos aussortierte Erinnerungsgalerie, in der die Bilder harmonisch ausgestellt sind.

Eine besonders professionelle Form einer Roman-Struktur besteht im Nacherzählen, Umschreiben und persönlichen Infiltrieren eines anerkannten Textes. 1962 ist der Roman „Die Gärten der Finzi Contini“ von Giorgio Bassani erschienen, 1975 kommt die Verfilmung durch Vittorio De Sica.

Buch und Film fesseln Waltraud Mittich sofort und lassen sie ein Leben lang nicht mehr los. Jetzt hat sie eine Figur der Gartenszenerie, nämlich das überlebende jüdische Mädchen Micòl, mit einem anderen Schicksal versehen und sie als kämpfende, selbstbewusste Frau durch das Nachkriegseuropa geschickt.

Viele Kriminalfälle entstehen ja dadurch, dass die Wortwahl oft völlig divergierende Deutungen eines Sachverhaltes zulässt. Machtblind kann heißen, dass jemand wegen seiner Macht blind wird, oder aber, dass jemand gegenüber der Macht blind wird.

Reinhard Kocznar wählt zwar die Form des Kriminalromans, damit alles wenigstens halbwegs eine Ordnung hat, in Wirklichkeit aber beschreibt er das diffuse Treiben rund um mysteriöse Geschäfte, wo alles unsicher ist und nur Wörter wie Knarre oder Kohle Stabilität verheißen. „Er haute ab, als die Knarre sprach.“ (126)

Wenn eine Berühmtheit etwas sagt, können auch sogenannte blöde Sätze äußerst wertvoll werden. Der Sager „Innsbruck selbst ist eine unwohnliche, blöde Stadt“ wird zwar für richtig gehalten und tausendmal am Tag ausgesprochen, aber erst dass dieser Satz von Heinrich Heine stammt, macht ihn so wertvoll.

Bernd Schuchter geht mit seinem „Bummel durch Tirol“ der Frage nach, wie man ein Stück Klassiker lesen könnte, ohne dass man dafür eine Prüfung ablegen müsste. Am Beispiel von Heinrich Heines Reisebildern aus dem Jahre 1830 zeigt er, wie die Leserschaft der Gegenwart mit einem beinahe zweihundert Jahre alten Text umgehen könnte, nämlich durch Herausdestillieren von Reizwörtern und Reizsätzen.

In den guten multiplen Romanen gibt es so viele Lesemöglichkeiten, dass zwei Leser im Gespräch darüber oft eine Zeitlang brauchen, um zu kapieren, dass sie den gleichen Roman gelesen haben.

Norbert Gstreins Roman „In der freien Welt“ ist multipel, weit, frei, und groß wie die ganze literarisch erfassbare Welt. Je nach Wahl des Lese-Eingangs lässt sich der Roman als Krimi, politische Bestandsaufnahme, Travelling-Fields, Freundschaftserzählung oder Aussalzung eines perversen Literaturbetriebes lesen.

Das Publikum sieht oft etwas ganz Anderes in den Bildern, als es der Urheber vielleicht gedacht hat. So sagen die Tiroler jedenfalls zu allem, was wie eine Federzeichnung ausschaut, Karikatur, weil sie die Welt meist als Federzeichnung empfinden.

Paul Flora hat immer gelitten, wenn man ihn auf die Kunst eines Karikaturisten heruntergebrochen hat. Zu Recht hat er immer darauf verwiesen, dass die Karikaturen nur einen eingeschränkten Zeitraum seines Lebens an Aufmerksamkeit verschlungen haben.

Wenn man einem Außerirdischen die gebräuchlichste Form der Kommunikation erklären wollte, müsste man zuerst das Gesprächsgegoogle erklären. Jemand beginnt einen Satz, weiß aber nicht, was das nächste Wort bedeutet, googelt es, und setzt dann mit dem Satz fort. Ähnlich reagieren manche Zeitgenossen, die besonders mundartlich unterwegs sind, sie beginnen den Satz, schlagen im Taschenmundartbuch nach, wie das nächste Wort am besten klingt, und sprechen es dann aus.

In der Zeit der Globalisierung erleben Regionalismen und lokale Eigenheiten eine neue Blütezeit. Besonders beliebt sind dabei ausgestorbene Wörter, die man als semantische Schnäppchen durch die Konversation trägt. Die lokalen Heroen Dolomiten und ORF-Tirol haben jetzt das Wörterbuch der Südtiroler Mundarten herausgebracht, damit beim Anwenden der Mundart die Trefferquote richtiger Bedeutungen steigt.

Manchmal erzählt ein winziger Druckfehler eine ganze Geschichte der Hoffnung und Unsterblichkeit. Im Abschlusskommentar zum dritten Band „Das Gedächtnis der Wellen“ von Gerhard Kofler wird sein letztes Gedicht auf 24. August 2015 datiert, ein logischer Gedanke, denn niemand kann es noch glauben, dass der Autor 2005 gestorben ist.

Der dritte Teil der Vermächtnis-Trilogie gibt den Abschnitten „Argentinischer Settebello“, „Allein und italienisch“ sowie „Meeressammlungen“ Quartier. Das Überraschende und beinahe Unglaubliche dieser Gedichte besteht in der einseitigen Sprache des Italienischen. Es wird stark gerätselt, warum Gerhard Kofler das Modell der Tandem-Dichtung aufgegeben hat, worin Italienisch – Deutsch zusammengeschweißt sind, undenkbar, dass man eine der beiden Sprachen herauslöste oder bevorzugte.

Hinter jedem gelungenen Buch steckt eine vollkommene Bibliothek. Manchmal bedanken sich Autorinnen und Autoren bei diesen Bibliotheken, andere setzen auf den Genie-Begriff und behaupten, sich alles selbst aus den Hirnwindungen gesogen zu haben.

Ursula Flacke setzt an das Ende des historischen Romans vom „Mädchen aus dem Vinschgau“ zwei Anmerkungen, einmal bedankt sie sich bei der Schlanderer Bibliothek, die ihr diesen regionalen Stoff erst zugänglich gemacht hat, andererseits betont sie das Fiktionale des Romans, worin Kernfiguren, Kernzeiten und  Kernhandlungen aus einer Unmenge von Möglichkeiten herausdestilliert sind. So spielt das „Mädchen aus dem Vinschgau“ komprimiert um das Jahr 1519.