Lydia Steinbacher, Im Grunde sind wir sehr verschieden
Das höchste Kompliment, das es in einer Beziehung geben kann, ist der Hinweis auf die Individualität der Beteiligten, die aber trotzdem ein gemeinsames Produkt zustande bringen.
So können Ethnien in einem Staat sehr verschieden sein und doch zusammenleben, die Autorin kann völlig anders sein als der Leser, und es funkt trotzdem, zwei Gerichte können süß und sauer sein und trotzdem auf einem gemeinsamen Teller Platz nehmen.
Die Sprache ist durchaus menschlich wie die Menschen, die sie verwenden, deshalb trinkt sie selber gerne was und springt den Angetrunkenen leicht und im 3-D-Format von der Zunge. Auch ihr Niveau ist dabei höchst beachtlich und erhöht, sitzen die Sprach-Helden doch meist etwas abgehoben von der Umwelt auf Barhockern.
Es gibt Begriffe, da will man unbedingt mehr wissen, wenn sie unvermittelt auftauchen. Landschaft und Schnee sind unendlich weite Zustände, die einen ein Leben lang aufsuchen, und über der Fügung liegt etwas von Unsterblichkeit.
Obwohl Lyrik ständig mit Schnappschüssen und Bildern arbeitet, zeigt sich in ihr immer auch eine Dynamik, eine Bewegung oder ein Lebenslauf.
Im Idealfall findet ein Mensch für den Verlauf seines Lebens ein Bild, mit dem er sich durch fremdes Gelände fragen kann, und welches ihn gleichzeitig unverwechselbar macht.
Besonders schöne Kurven gelingen in der Mathematik immer, wenn man sie als Ableitungen ausführt. Zuerst wird die Wirklichkeit auf der ersten Ebene vermessen, daraus lassen sich dann diverse Ableitungen ziehen, die die besondere Wirklichkeit aus einer Wirklichkeit herausdestillieren.
Wo das Reden aufhört beginnt die Literatur. Deshalb ist der Friedhof die ideale Streusiedlung für Dichtung.
In der Beschwörungsformel „alpha[ge]bet lassen sich wie bei einem innig verschmolzenen Bimetall die Wesenszüge Alphabet und beten herauslesen. Diese Formel weist auf den fast religiösen Zusammenhang zwischen der Existenz der Dinge und seiner Benennung hin.
Im Idealfall gleicht ein Buch dem ersten Lesebuch, das einem damals die Welt erschlossen hat. Man wird als Leser jung, neugierig, zukunftsfroh und vollends optimistisch, dass da etwas drinnen steht, was man sofort und für alle Zeit gebrauchen kann.
Einwortgedichte sind nach wie vor die beste Methode, einen Gedichtband unverwechselbar zu überschreiben.