markus köhle_jammern auf hohem niveauDie Sprache ist durchaus menschlich wie die Menschen, die sie verwenden, deshalb trinkt sie selber gerne was und springt den Angetrunkenen leicht und im 3-D-Format von der Zunge. Auch ihr Niveau ist dabei höchst beachtlich und erhöht, sitzen die Sprach-Helden doch meist etwas abgehoben von der Umwelt auf Barhockern.

Markus Köhle, der Meister von Poetryslam und User dynamischer Satzbögen, verschafft mit seinem Barhocker-Oratorium diesen täglich in den Bars anströmenden Erkenntnissen, Schicksalen und Planungen ein Forum, von dem aus die Sätze in den Weltraum oder zumindest an die Bardecke geschossen werden können.

petra ganglbauer, wie eine landschaftEs gibt Begriffe, da will man unbedingt mehr wissen, wenn sie unvermittelt auftauchen. Landschaft und Schnee sind unendlich weite Zustände, die einen ein Leben lang aufsuchen, und über der Fügung liegt etwas von Unsterblichkeit.

Petra Ganglbauer tritt gegen diese Unendlichkeit mit dem spitzen Werkzeug der Kurzprosa an. In knapp vierzig poetischen Hieben wird versucht, Zeit und Ort das Messer anzusetzen, eine Kluse zu finden in der abwehrenden Oberfläche, in die Tiefe zu bohren wie eine tierische Seele auf Nahrungssuche.

martin dragosits, weiße kreideObwohl Lyrik ständig mit Schnappschüssen und Bildern arbeitet, zeigt sich in ihr immer auch eine Dynamik, eine Bewegung oder ein Lebenslauf.

Martin Dragosits arbeitet schon im Titel mit der Fügung von der weißen Kreide, die je nach eigener Erfahrung beim Leser das flunkernde Wissen an der Tafel evoziert, wo die weiße Kreide in der Hand während einer Prüfung zu Mehl zerbröselt ist. Anderen wird vielleicht ein Stück verfallende Insel ins Auge springen, wenn nach hohem Wellengang abermals und abermals ein Stück Kreide-Küste im Wasser liegt. Und dieses Zerbröseln der Zukunft liegt schließlich auch an den Göttern, wenn sie mit uns die letzte Runde spielen.

jürgen becker, graugänse über torontoIm Idealfall findet ein Mensch für den Verlauf seines Lebens ein Bild, mit dem er sich durch fremdes Gelände fragen kann, und welches ihn gleichzeitig unverwechselbar macht.

Jürgen Becker hat sich dazu entschieden, die Verdichtung seines Lebenswerkes zu einem Journalgedicht unter das Bild „Graugänse über Toronto“ zu stellen. Vielleicht ist diese Montage von Zugvögeln über einer Stadt das ideale Motiv, fliehend und standfest eine Position einzunehmen.

cornelia travnicek, parablühBesonders schöne Kurven gelingen in der Mathematik immer, wenn man sie als Ableitungen ausführt. Zuerst wird die Wirklichkeit auf der ersten Ebene vermessen, daraus lassen sich dann diverse Ableitungen ziehen, die die besondere Wirklichkeit aus einer Wirklichkeit herausdestillieren.

Das poetische Projekt Parablüh ist eine sogenannte Ableitungslyrik. Cornelia Travnicek zieht aus einer bereits lyrisch gezogenen Konsequenz eine weitere. Über die Gedichte der Sylvia Plath werden dabei Monologe gespannt. Sylvia Plath (1932-1963) gilt nicht zuletzt wegen ihres Suizids als Ikone für eine Literatur, die zu Lebzeiten nicht verstanden werden kann. Umso heftiger setzen sich mittlerweile ganze Generationen mit ihr auseinander, um sich mit ihr zu solidarisieren und ihr ein posthumes Farewell zu setzen.

inghels und Starik, das einsame begräbnisWo das Reden aufhört beginnt die Literatur. Deshalb ist der Friedhof die ideale Streusiedlung für Dichtung.

Was ursprünglich als soziales Projekt begonnen hat, ist in den letzten fünfzehn Jahren eine eigene Kulturform geworden. In der Anonymität großer Städte sterben immer wieder Menschen ohne Angehörige und Bekannte. Oft bleiben sie in einer Wohnung über und werden erst nach einiger Zeit tot entdeckt, oft haben sie sich auch wie Elefanten zum Sterben an den Rand der Gesellschaft zurückgezogen, oft erwischt sie auch der Tod aus heiterem Himmel und der Spontantod sprengt alle Zeremonien.

rudolf kraus, alphagebetIn der Beschwörungsformel „alpha[ge]bet lassen sich wie bei einem innig verschmolzenen Bimetall die Wesenszüge Alphabet und beten herauslesen. Diese Formel weist auf den fast religiösen Zusammenhang zwischen der Existenz der Dinge und seiner Benennung hin.

Rudolf Kraus ist Bibliothekar und hat dadurch wie alle Angehörigen dieser Berufsgruppe einen Haltegriff, der seit Jahrhunderten unverändert ist, das Alphabet. Oft werden Bibliothekare allein deshalb für ihren Beruf beneidet, weil sie eine Ordnung haben, die unverrückbar ist, denn es sind immer die Bücher, die verrückt werden müssen für das Alphabet, nie das Alphabet selbst.

raphaela edelbauer, entdeckerIm Idealfall gleicht ein Buch dem ersten Lesebuch, das einem damals die Welt erschlossen hat. Man wird als Leser jung, neugierig, zukunftsfroh und vollends optimistisch, dass da etwas drinnen steht, was man sofort und für alle Zeit gebrauchen kann.

Raphaela Edelbauer nennt dieses Abenteuerbuch schlicht „Entdecker“, und da es um Dinge wie Phantasie, Sprache, Wissenschaft und Erkenntnis geht, nennt sich das Ganze eine Poetik. In diesem Lehrbuch über die entdeckerische Dichtkunst spielen Mineralien, Mikroorganismen, die Schwerkraft und ihre Kartographie die Hauptrolle.

robert kleindienst, brandseelauteEinwortgedichte sind nach wie vor die beste Methode, einen Gedichtband unverwechselbar zu überschreiben.

Robert Kleindienst verrät mit seiner Lyrik-Formel „Brandseelaute“ schon ein wenig von seinem Konzept, das Weite wird durch spitze Wörter angestochen und wie ein aufgeschlagenes Ei in semantischen Dotter und Eiweiß zerlegt. Brandseelaute sind vielleicht Geräusche aus einem Meer jenseits der Brandung, sie können aber auch aus einer Laute stammen, die auf hoher See abgebrannt ist.

norbert kaser, mein haßgeliebtes bruneckUm wirklich unsterblich zu werden, musst du zu einem Mythos mutieren. - Die Zeitgenossen eines Mythos sitzen Jahr für Jahr fassungsloser vor diesem Satz und rechnen ihr armseliges Leben mit siebzig gegen den aufregenden Mythos eines Helden auf, der schon beinahe ein halbes Jahrhundert tot ist.

norbert c. kaser hat sich genial in jenen Mythos hineingeschrieben, den seine Zeitgenossen von ihm verlangt haben. Er hat offensichtlich so genau die Südtiroler Seele getroffen, dass diese ihm zwar zu Lebzeiten nichts, anschließend aber alles an Anerkennung verpasst hat. Preise, Schulen, Vorlässe, alles, was die Romantik heroischen Helden zu bieten hat, ist für norbert c. kaser aufgeboten worden. Gerüchtehalber soll sogar der Haymon-Verlag als Vater aller Nachlässe nach dem toten Hund Kasers (Haymo) benannt sein.