Belletristik und Sachbücher

Willi Pechtl, Im Tal leben

h.schoenauer - 06.09.2016

Für Soziologen und Geografen ist das Tal etwas vom schönsten, was einem als Wissenschaftler passieren kann. Ein Tal ist ordentlich im Gelände eingegraben, es gibt ein Oben und Unten, die Entfernungen sind überschaubar, die Soziotope innig.

Willi Pechtl rückt dieser scheinbaren Ordnung des Pitztals mit einer kreativen Chaos-Methode zu Leibe, er nennt es längs und quer, wie sonst die Muskelfasern bei Säugetieren und Menschen bezeichnet werden. Die Hauptquellen für das „Porträt“ des Tales als Lebensraum sind Erzählungen und Bilder.

Michael Krüger, Der Gott hinter dem Fenster

h.schoenauer - 04.09.2016

Wenn ein Meister erzählt, unterscheiden sich diese Kunstwerke äußerlich, thematisch oder strukturell kaum von anderen Erzählungen, die als gewöhnlich gelten. Aber untrügliches Zeichen der Meisterschaft ist immer jenes kaum hörbare Ticken, das sich oft erst nach Tagen im Corpus der Leserschaft entfaltet.

Michael Krüger entlässt seine Erzählungen unspektakulär und leise, wie man vielleicht Fische in tiefes Wasser aussetzt. Seine Erzählpunkte sind immer Aussichtswarten, von denen man auf der einen Seite auf ein reifes Leben zurückblickt und auf der anderen Seite auf ein weites Feld ohne Fixpunkte der Gewissheit Ausschau hält.

Reinhard Kleindl, Baumgartner und die Brandstifter

h.schoenauer - 30.08.2016

Wenn die Sinnesorgane auf Verbrechen eingestellt sind, entdecken sie überall und in den idyllischsten Lagen jenen Rauch, der bei Verbrechen gerne aufsteigt.

Reinhard Kleindl ist mit seinem Krimi-Helden Baumgartner literarisch raffiniert unterwegs. Dadurch, dass Baumgarnter wie alle österreichischen Beamten vom Hocken sehr müde und derangiert ist, braucht er nur die halbe Zeit im Einsatz zu sein. Auch im neuen Krimi kommt er erst in der zweiten Ermittlungshalbzeit zu seinem Auftritt, völlig von Tabletten niedergerungen und auch sonst nur bei losem Verstand.

Rainer Juriatti, Strandschatten

h.schoenauer - 25.08.2016

Schatten und Strand sind bei kluger Anwendung schöne Metaphern für das Bewegliche, Un-Fixe, Veränderbare. Beim Strandschatten tauchen in der Vorstellung vielleicht dunkle Flecken auf, die sich im Sonnenlicht um einen Erzählstandpunkt herum bewegen.

Rainer Juriatti nimmt den Strandschatten zum Ausgangspunkt für eine doppelte Geschichte, einmal fällt der Strandschatten auf den historischen Strand an der Normandie, an dem am D-Day die amerikanischen Truppen landen und dem Nazi-Spuk ein Ende bereiten. Auf der heroischen Ebene des Helden hingegen ist der Strandschatten eine Auffrischung und Neuinszenierung verblichener und verstorbener Gesten im innigsten Familienbereich.

Lina Hofstädter, Erebus

h.schoenauer - 21.08.2016

Die verrücktesten Dinge kann man nur zähmen, indem man ihnen einen Namen gibt. Die Griechen haben für skurrile Vorgänge jeweils einen Gott installiert. Gott Erebus ist seither für die Finsternis zuständig und dadurch ein idealer Namensspender für einen Verlag in der Provinz.

Lina Hofstädter nennt ihren kulturspezifischen Schalk-Roman ohne Gattungsbezeichnung einfach Erebus, statt eines Lesezeichens oder Verlagsprospektes ist freilich ein „schmucker“ Lyrikband beigelegt, in welchem 26 Krähengedichte nach Befreiung schreien. Nach einer etwas augenzwinkernder Definition ist ein Gedicht nämlich ein Stück Text, der hinten ausgefranst ist, worin ein Vogel vorkommt und der durch Lesen befreit werden muss. Lina Hofstädters  Gedichte können sich sehen lassen, gerade weil sie scheinbar absichtslos sind und sich mit Ironie selbst durch die Wallungen der Germanisten tragen.

Roland Zingerle, Ein Mord am Wörthersee

h.schoenauer - 16.08.2016

Gegenden, die von Menschen mit gedämpftem Selbstbewusstsein bewohnt werden, tragen gerne verrückte Sportarten aus. So wird der grenzwertige Macho-Dolomiten-Mann naturgemäß in Osttirol ermittelt, während der Kärntner Ironman am Wörthersee sich durch deftiges Kraulen und Strampeln hervortut.

Roland Zingerle setzt seinen Grenzgänger-Krimi idealerweise mitten im Gewusel rund um den Ironman am Wörthersee ab. In dieser Gegend geht man mit Geschäften und sich selbst volles Risiko. So hat es in den letzten beiden Jahren jeweils einen Toten gegeben, was weiter nicht schlimm ist, gehört doch das Sterben mit heraushängender Zunge zu den besonderen Belohnungen des Ironman. Aber für die beiden Opfer ist jeweils eine Lebensversicherung fällig geworden, und das macht selbst Kärntner Versicherer stutzig.

Jörg Zemmler, Papierflieger Luft

h.schoenauer - 11.08.2016

Gedichte wie einen Papierflieger bauen und über eine weiße Fläche jagen, Luft so lange beschreiben, bis sie Knetmasse wird, Sätze so lange abschleifen, bis nur noch die zwei wichtigsten Wörter übrig bleiben.

Jörg Zemmler nennt seine zusammengearbeiteten, luftgenagelten und bodengenieteten Textstücke vorsichtigerweise Gedichte in der Hoffnung, dass sie dann im Gedichtband bleiben. Denn seine Texte sind in Wirklichkeit so ungezähmt, dass sie davon fliegen, wenn man eine Seite aufschlägt.

Susann Sitzler, Total alles über die Schweiz

h.schoenauer - 07.08.2016

Damit ein Staat einen Namen hat und weltweit anerkannt ist, muss er in Werbung, Mythen und Skurrilitäten investieren. Die Schweiz ist wahrscheinlich das ironischste und kreativste Mythengebilde unter dem globalen Staatenhaufen.

Susann Sitzler rollt in bewährter „folio-Manier“ die Schweiz mit Fakten, Graphiken und Analysen vor dem Leserauge aus. Begriffe wie Kantönligeist, Schweizerkäse oder Schweizermesser beschreiben die Schweizer Seele in Wort und Ding als Unikat.

Pier Paolo Pasolini, Kleines Meerstück

h.schoenauer - 02.08.2016

Ein Lese-Abenteuer ist es allemal, einem Klassiker beim Versickern im Sand des Vergessen-Werdens zuzuschauen, wodurch er noch einmal auf Hochglanz poliert wird.

Pier Paolo Pasolini gilt in den Bereichen Film, Politik und Erzähl-Theorie als Erneuerer und Erfinder, seine Lehren haben unmittelbar Auswirkungen im Umgang mit der Homosexualität, in der Erforschung peripherer Kulturen und im politischen Ausgleich zwischen der Hauptstadt und den nördlichen Randlagen der Autonomien.

Andrej Kurkow, Die Kugel auf dem Weg zum Helden

h.schoenauer - 28.07.2016

In diversen Heldenbiographien inklusive jener von Andreas Hofer wird immer zu wenig die Kugel gewürdigt, die aus einem normalen Menschen einen Helden macht.

Andrej Kurkow lässt es sich in seiner Trilogie „Geographie eines einzelnen Schusses“ nicht nehmen, etwas logisch Groteskes wie die Sowjetunion durch grotesk-logisch Helden darzustellen. Nach einem Volkskommissar, der ein Leben lang das Volk inspizieren muss, und einem Papagei, der politische Sprüche in krächzende Epen zu verwandeln hat, macht sich jetzt eine Kugel auf den Weg, einen Gerechten zu finden. Der Kugel beigesellt ist ein Engel, der den Helden immateriell retten kann, wenn er von der Kugel zerfetzt sein sollte.