Belletristik und Sachbücher

Ulrike Kotzina, Verschwunden

h.schoenauer - 24.07.2016

Was passiert eigentlich, wenn jemand, der das Verschwinden von Personen und Dingen bemerkt, selbst verschwindet?

Ulrike Kotzina stellt in ihrem Roman „Verschwunden“ eine fertige Idylle vor, die sich allmählich auflöst und verschwindet. In sechs Kapiteln, die immer länger und kälter werden, löst sich eine Bilderbuchszenerie in Luft auf.

Wolfgang Hermann, Die letzten Gesänge

h.schoenauer - 19.07.2016

Wie muss man kleine Begebenheiten, entlegene Landstriche, versteckte Stimmungen oder verlorengegangene Lebensentwürfe aufrüsten, dass man sie als Andeutung gerade noch erzählen kann?

Wolfgang Hermann treibt seine 35 Erzählungen an den Rand der Selbstauflösung, es sind wahrlich letzte Gesänge, wie es in der titelgebenden Geschichte heißt. Diese Kleinodien wirken auf den ersten Blick wie Zugaben zu einem anstrengenden Alltagswerk, diese Piecen tauchen in Verschnaufpausen auf, als Balkonstimmung, wenn in das abendliche Gelände geschaut wird, oder als Notiz eines Stadtplaners, wenn er die ersten Maßeinheiten in die Skizze einträgt.

Reinhilde Feichter, Frieda und James Bond

h.schoenauer - 14.07.2016

Bildung entsteht letztlich dadurch, dass man sich als Individuum eine persönliche App in seine Psyche herunterlädt, die einem immer erklärt, was man zu tun hat.

Reinhilde Feichter lässt ihre Heldin Emeli Knolleisen so lange im Leben auflaufen, bis sie kapiert, wie es geht. Die Ich-Erzählerin geht dabei recht selbstbewusst vor, wenn es um sie selbst geht, schon die Geburt als Frühchen wird ein Abenteuer, bei dem Emeli als Siegerin hervortritt.

Albert Ennemoser, Bunte Geschichten

h.schoenauer - 10.07.2016

Immer wieder machen sich in der Malerei Sequenzen selbständig und werden zur Literatur. Aus Bildbeschreibungen, Paint-Journalen oder Katalogvorgaben nehmen zwischendurch Texte Reißaus und flüchten in einen eigenen Erzählband, der dann vielleicht „Bunte Geschichten“ heißt.

Albert Ennemosers knapp dreißig Geschichten spielen sich entlang von Ausstellungen, Installationen, Kunsthandwerken oder Kunstreisen ab. Oft reist das sehende Auge einem Kunstobjekt nach, erörtert eine Theorie, ehe es mit dem Objekt in Kontakt tritt. Und manchmal spricht das Kunstwerk zurück oder sein Schöpfer gibt ein paar Ideen zur Arbeitsweise zum Besten.

Serhij Zhadan, Mesopotamien

h.schoenauer - 07.07.2016

Ein gelungenes Cover vermag sinnlich auf das Kernthema eines Buches hinzuweisen. Wenn selbst der Titel „Mesopo / tamien“ in zwei Teile zerlegt ist, vermag man sich schon auszumalen, welche Zerrissenheit einen in diesem Zweistromland erwarten wird.

Serhij Zhadan beschreibt in seinem Zweistromreich den Ablauf der Geschehnisse in ausgerissenen Partikeln. Selbst die literarische Textsorte ist ein Mesopotamien, im ersten Teil gibt es Geschichten und Biographien in Prosaform, im zweiten Teil kommt pure Lyrik zum Vorschein als Erläuterungen und Verallgemeinerungen.

Cornelia Travnicek, mindestens einen der weißen wale

h.schoenauer - 05.07.2016

Gedichtbände haben immer auch ein geheimes Drehbuch unter der Gedicht-Haut mitlaufen, damit sich die poetischen Sporen auch im Wind der Gegenwart verbreiten können.

Cornelia Travnicek verzichtet in ihrem Gedichtband auf ein deklariertes Inhaltsverzeichnis, ihre Gedichte setzen ein wie eine Erzählung und enden in einem umfangreichen Schlussstein, der alles zusammenhält. In einem Bild einer Landschaft werden dem lyrischen Ich wie auf einem Theater-Prospekt einzelne Sequenzen vorgeschoben, die dieses abnickt, bis ein blankes Steinfeld übrig bleibt:

Vladimir Sorokin, Telluria

h.schoenauer - 03.07.2016

Zukunftsprognosen werden meist von jener Stimmung getragen, die gerade in der Gegenwart als virulent empfunden werden. Prognostische Romane sagen also immer etwas über die Gegenwart aus.

Vladimir Sorokins „Telluria“ ist ein Stück Apokalypse, das in etwa zwanzig Jahren aus dem Kontinent Eurasien für den Roman herausgebrochen ist. Die gegenwärtigen Staatsgefüge sind zu Grunde gegangen und in kleine Gebiete mit Warlords oder sonstigen oligarchischen Kommandanten zerfallen. Manche Banden sind völlig neu und aus einem Gothic-Gruselkabinett gestiegen, andere zeigen Spuren von Taliban oder sonstigen Schreckgespenstern der Gegenwart.

Clemens J. Setz, Die Stunde zwischen Frau und Gitarre

h.schoenauer - 30.06.2016

Kluge Titel evozieren die ganze Welt durch einen idealen Sehschlitz. Die Stunde zwischen Frau und Gitarre ist vielleicht ein Stillleben, das zu einem Wimmelbild ausgeufert ist.

Clemens Setz lässt mit seinem tausendseitigen Roman nie einen Zweifel aufkommen: Jeder Satz dieses Mammutwerkes ist notwendig, um auch wirklich halbwegs alles auszuspucken, was sich in der Hauptfigur über eine gefühlte Ewigkeit hin täglich ansammelt und von früher her aufgestaut hat.

Elisabeth Schicketanz / Robert Boulanger, Plan B

h.schoenauer - 28.06.2016

Das Digitale kämpft gegen das Animalische und ist vielleicht identisch damit! Wer einmal ein File um diesen Kampf hat verschicken wollen, kennt das Gefühl, plötzlich am Präsentierteller eines Geheimdienstes zu liegen.

Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger lassen bereits auf der Eingangsseite mit den biographischen Angaben keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie hervorragende Liebhaber von Hunden und Experten der digitalen Welt sind. Beide Welten sind folglich die Leitschienen für einen Wiener Spionagethriller, der eine Story ausrollt, die jeden von uns überrumpeln könnte, sofern wir eine Maus oder eine Hundeleine halten können.

Wolfgang Pollanz, Das Buch Elvis / Unten in Tupelo / Morrison an der Mur

h.schoenauer - 26.06.2016

In der guten alten Pop-Musik gibt es Heroen, Götter, Glitzer, Fans und Anbetungen wie in einer handfesten Religion. Die Mythen des auftretenden Pop-Personals sind ähnlich gestrickt wie Schöpfungsberichte oder Sagen des klassischen Altertums.

Wolfgang Pollanz erzählt in der Serie „Pop kommt auf den Kürbis“ von den Auswirkungen der Pop-Musik auf die steirische Kürbisgegend und stellt im Umkehrschluss die These auf, dass wesentliche Teile der Pop-Musik in der Steiermark entstanden oder wenigstens dort aus dem Kürbis gekrochen sind.