dine petrik, handgewebe lapisblauGroßes Stimmungskino kann in der Literatur oft mit einem Farbton umschrieben werden, man denke an die rosa Brille oder den alle Sinnesorgane umfassenden Blues.

Dine Petrik setzt ihre Gedichte hinter eine Linse aus „lapisblau“, fein assoziierend, dass rare Farben oft herhalten für politische Formationen, man denke nur an die Blauen oder die Türkisen. Das Genre „Handgewebe“ deutet freilich auf manuelle Kunstfertigkeit hin, auf Geduld von Gewebe und fein gegliederter Stofflichkeit. Ein mit der Hand geschriebener Text kann so als Textur von einzigartigen Arbeitsschritten gelesen werden.

george orwell, farm der tiere„Als es dunkel wurde, verriegelte der Farmer Mr Jones die Hühnerställe. Weil er zu viel getrunken hatte, vergaß er, auch die Auslaufklappen zu schließen. Stattdessen torkelte er zurück ins Haus. Dort trank er noch ein letztes Bier und ging ins Bett zu seiner Frau. Wenig später begann in allen Ställen ein Gewusel und Geflatter.“ (S. 7)

Nachdem der grausame Bauer Jones zu Bett gegangen ist, regt sich was in seinen Ställen. Old Major, der von allen angesehene preisgekrönte Eber, hat zu einer Versammlung einberufen, auf der er die Unterdrückung der Tiere durch den Menschen anprangert.

david graeber, schuldenWarum Schulden? Was macht diesen Begriff so seltsam mächtig? […] Aber niemand scheint genau zu wissen, was es damit auf sich hat, oder dar über nachzudenken. Gerade weil wir nicht wissen, was Schulden sind − die Dehnbarkeit des Begriffs ist zugleich die Grundlage seiner Macht. Wenn die Geschichte etwas zeigt, dann dies, dass es keine bessere Methode gibt, auf Gewalt gegründete Beziehungen zu verteidigen und moralisch zu rechtfertigen, als sie in die Sprache von Schuld zu kleiden – vor allem, weil es dann sofort den Anschein hat, als sei das Opfer im Unrecht. (S. 11)

Der englische Anthropologe David Graeber geht der außergewöhnlichen wissenschaftlichen Frage nach dem Wesen von Schulden als Relation im Beziehungsgeflecht menschlicher Gesellschaften nach. Dabei spannt er einen Bogen von mehr als 5.000 Jahren, von den ersten nachweisbaren Schulden bis in unsere Gegenwart, in der Schulden die gesellschaftlichen Verhältnisse ganzer Staaten dominieren können.

anne herbauts, zu hause bei hadek und miezke„Vielleicht habt ihr ihn noch nie gesehen, er steht nämlich in aller Frühe auf, wenn ihr noch schlaft … Miezke lebt in einem Haus in einem Baum in einem Wald, hoch über dem Boden, aber nicht zu hoch. Unter seinem Dach wohnt Hadeck, ein hübscher Rüsselkäfer.“

Miezke, der Kater, und Hadek der Rüsselkäfer leben gemeinsam in einem Baumhaus und genießen das schöne Leben in ihrem warmen, feinen Zuhause. Der Winter steht vor der Tür und der erste Schnee ist gefallen. Draußen ist es kalt und im Baumhaus brummt der Ofen leise vor sich hin.

thomas sautner, nur zwei alte männerBegonnen ist bald einmal etwas, aber die wahre Kunst zeigt sich beim Aufhören. Thomas Sautner lässt in seinem schelmisch leichten Altersroman zwei Künstler vor unseren Leseaugen ausgeistern. Wie im Märchen sitzen „nur zwei alte Männer“ in ihren zwei Villen in einer ruhigen Vorstadtgegend, alles ist ihnen zu groß geworden, Wohnung, Hosen, Gedanken.

Die beiden Helden treten sparsam auf wie für ein Kammerstück des Fade-out. Joseph Wasserstein hat als ehemaliger Starfotograf die Welt gesehen und beinahe ikonenhaft ins Bild gesetzt, der Nachbar Hakim Elvedin ist gefeierter Tänzer und lässt seinen Körper nur noch für sich und mit sich auftreten. Die Künste von Bild und Bewegung ziehen sich aus ihren Künstlerprotagonisten quasi zurück.

otfried preußler, das kleine gespenst„Auf Burg Eulenstein hauste seit uralten Zeiten ein kleines Gespenst. Es war eines jener harmlosen kleinen Nachtgespenster, die niemandem etwas zuleide tun, außer man ärgerte sie. Tagsüber schlief es in einer schweren, eisenbeschlagenen Truhe aus Eichenholz, die stand auf dem Dachboden, wohl versteckt hinter einem der dicken Schornsteine, und kein Mensch hatte eine Ahnung davon, dass sei eigentlich einem Gespenst gehörte.“ (S. 9)

Das kleine Gespenst lebt in einer Burg im kleinen Städtchen Eulenburg, wo es pünktlich um Mitternacht erwacht und mit seinem Schlüsselbund mit dreizehn Schlüsseln durch Schütteln alles öffnen kann, was es will. Wenn es aus seiner Truhe klettert, muss es jedes Mal niesen, weil die Spinnweben seine Nase kitzeln. Dann beginnt es seinen nächtlichen Rundgang in der Burg Eulenstein.

fiston mujila, kasala für meinen kakuEine magische Botschaft besteht üblicherweise aus einem Schlüssel ohne Schloss. - Im Falle der Literatur freilich entsperrt diese Botschaft das gesamte Buch.

Fiston Mwanza Mujila gibt seinem Gedichtband ein Rätsel als Überschrift: „Kasala für meinen Kaku“. Anschließend verschwindet er ins Buchinnere, um freilich in einem prächtigen Interview seine Theorie einer interkontinentalen Literatur darzulegen. Dabei werden auch die Fachbegriffe für deutschsprachige Lesende erklärt, das Interview ist in der Kolonialsprache Französisch gehalten. Überhaupt handelt es sich beim „Kasala“ um ein „Wendebuch“, je nach Bedarf lässt sich das Buch so halten, das vorne die gewünschte Sprache auftaucht und hinten seitenverkehrt die andere.

matthias bauer, vollmondlegenden„Kalter Herbstwind rauschte um das alte Haus, dessen Giebel sich spitz vor dem Vollmond abzeichneten. Die abgenutzte Sandstein-Fassade stemmte sich den Windböen entgegen. Fensterscheiben vibrierten. Dachschindeln ächzten. Im Garten fielen die letzten Blätter von den knorrigen Eschen. Im Inneren des Hauses war es still, auch in der Bibliothek, die in völliger Dunkelheit lag.“ (S. 11)

Der dreizehnjährige Felix und seine drei Freunde Daniel, Emily und Mila sind ein tolles Team das sich prächtig versteht und die Eigenarten der anderen akzeptiert. Jeden Vollmondabend treffen sie sich auf dem Hauptplatz von Eschenfeld, um einen gemeinsamen Filmabend zu genießen.

ruud koopmanns, die asyllotterie„Niemand, der ein Mindestmaß an menschlichem Mitgefühl besitzt, würde bestreiten, dass wir ein Asylrecht brauchen, das eine Wiederholung des schrecklichen, für viele tödlichen Unrechts ausschließt, das jüdischen Flüchtlingen in den 1930 er-Jahren angetan wurde. Leider erfüllt das geltende europäische Asylrecht diesen moralischen Anspruch nicht einmal annähernd.“ (S. 9)

Ruud Koopmans setzt sich mit der Asylpolitik der letzten zehn Jahre auseinander und zeigt Ursachen, Folgen und mögliche Lösungen auf. Dabei kritisiert er die gegenwärtige Asylpolitik als eine Art „Lotterie auf Leben und Tod“, weil sie eine hohe Anzahl an Toten zur Folge habe und vor allem jene vernachlässige, die Hilfe am dringendsten benötigen würden.

daniela kulot, im herbstwald„Die Schatten werden länger. »Es riecht nach Herbst!«, seufzt der Fuchs. »Der Sommer geht, er reicht dem Land zum Abschied noch ein letztes Mal die Hand.« Der Fuchs räuspert sich. »Ja ich weiß«, sagt er. »An Tagen wie diesen werde ich immer ein bisschen wehmütig.«“

Die Tiere am Teich betrachten die herbstliche Landschaft und nehmen Abschied vom Sommer. Fuch, Maus, Rabe und Eichhörnchen machen sich Gedanken, wie sich das Leben in den kommenden Monaten verändern wird und blicken sorgenvoll auf den nahenden Winter.