lena schneider, lila leuchtfeuer"»Es wird bestimmt niemand kommen. Du kannst das Tor also zulassen«, sprach Hubert, in der Hoffnung, Lila umzustimmen. Allerdings klang er wenig überzeugt von seinen eigenen Worten. »Da muss ich dich enttäuschen«, antwortete Lila erfreut. »Ich sehe da schon jemanden die Straße heraufkommen! « »Wer ist es denn?«, fragte Willi. Doch Lila antwortete nicht. Langsam, ganz langsam sanken ihre Mundwinkel und ihre Augen wurden immer größer." (S. 16)

Lila Leuchtfeuer lernt in der magichanischen Werkstatt ihres Vaters magische Gegenstände wie Zauberkessel und Zauberflöten zu reparieren. Ihre Mutter ist als fahrende Händlerin ständig unterwegs und als ihr Vater zum König gerufen wird, um einen Kratzer im königlichen Zauberspiegel zu reparieren, bleibt Lila mit ihrem Freund Willi, einem eichhörnchenartigen Waldgeist und dem sprechenden Hammer Hubert in der Werkstatt allein zurück.

peter pessl, ah das gasthaus der wilderness!Selbst für Leseprofis sind Bücher manchmal vorerst verschlossen wie eine Nuss, man trägt sie als Krähe ein paarmal in die Luft, ehe sie dann aufgeht, wenn man sie richtig zu Boden fallen lässt. Andere nehmen den Text als Stein von Sisyphus und beginnen mit dem Rollen. Die dritten beginnen mit der Einbegleitung, in der letztlich alles drin steht, um in den Text eintreten zu dürfen.

Peter Pessl ist offensichtlich selbst überrascht, worauf er da stößt: „Ah, das Gasthaus der Wilderness!“ Dieses Stück Kultur in der Wildnis fordert den Besucher auf, die gewohnten Sehweisen zu verlassen und der Dramaturgie der vierzig Prosagedichte zu folgen, die gleich nach dem Eintritt auftauchen werden.

emily j. taylor, hotel magnifique„Ich bewegte den Zeigefinger über die Seite und deutete auf eine Anzeige, die vor etwa einer Stunde in sämtlichen Tageszeitungen der Stadt aufgetaucht war. Die Tinte schimmerte leuchtend violett, wie der Blutmohn in Aligney oder amethystfarbener Pannesamt. Sie stach aus dem Rest hervor, ein eigenartiges Leuchtsignal in einem Meer von Schwarz und Weiß. »Hotel Magnifique. Wir stellen ein. Interessierte melden sich morgen zur Mittagsstunde. Bitte mit gepackter Tasche für Anderswo. Abreise ist um Mitternacht.«“ (S. 13)

Emily Taylor erzählt die fantastische Geschichte des „Hotel Magnifique“, das sich mit seinen Gästen unablässig in der Welt bewegt und mit ihnen beeindrucken Plätze besucht. Janine nutzt mit ihrer Schwester den Aufenthalt des Hotels in ihrer Stadt, um der Armut zu entgehen und ein wenig von der weiten Welt zu sehen. Sie ahnt nicht, dass sich hinter der schönen Fassade des „Hotel Magnifique“ ein gefährliches Geheimnis verbirgt.

j. j. voskuil, die nachbarnTrabanten veredeln das Muttergestirn, indem sie unermüdlich darum herumkreisen. In der Literatur veredeln posthume Editionen oft das Hauptwerk, indem sie sich ungeniert als pfiffige Text-Trabanten ausgeben.

J. J. Voskuil ist in der Literaturgeschichte mit einem ungewöhnlichen Titel verankert: „Das Büro“. Darin altert ein Volkskundler vor den Augen der Leserschaft in seinem Büro für Wichtelmänner. Und nach Tausenden Seiten, sieben Bänden und vier Jahrzehnten erzählter Zeit merkt der Leser, dass er im gleichen Maße mit gealtert ist.

Im aktuell erschienenen Roman „Die Nachbarn“ kommt dieses Erzählkonzept abermals zum Zuge, dieses Mal geht es freilich um das Altern und das Verlöschen des Lebenskonzeptes „Ehe“. Herausgefordert wird die Ehe des Erzählers Maarten und seiner Frau Nicolien durch das schwule Paar Peer und Petrus, das als Horror einer Nachbarschaftsbeziehung an den Ehe-Alltag andockt.

werner holzwarth, sag mal danke du froschAlles muss gelernt sein, selbst die scheinbar einfachsten Spielregeln des zwischenmenschlichen Umgangs. Der kleine Frosch lernt mit Hilfe seiner beiden Freunde, dem Elefanten und der Maus, wie man sich richtig verhalten soll, wenn man ein Geschenk erhält.

Der kleine Frosch ist schüchtern und weiß nicht so recht, wie er mit anderen umgehen soll, vor allem wenn ihm eine Freude gemacht wird. Da hat er besonders Glück, dass ihm zwei Freunde mit mehr Erfahrung hilfreich zur Seite stehen.

Im Käsegeschäft erhält die kleine Maus von einem ebenso freundlichen Käseverkäufer ein Stück Käse spendiert, für das sich die Maus ganz besonders herzlich bedankt. Als sie anschließend die Fliegenverkäuferin aufsuchen, überreicht diese dem kleinen Frosch voll Freude eine kleine Mücke, die der Frosch zwar dankbar annimmt, aber kein Wort des Dankes dazu verliert.

nikolaus scheibner, ethik der künstlichen intelligenzWenn die Gedichte an die künstliche Intelligenz ausgelagert sind, bleibt dem Individuum nur mehr die Ethik, um sich bemerkbar zu machen. Aber was ist, wenn auch die Ethik der künstlichen Intelligenz untergeordnet wird?

Nikolaus Scheibner kämpft mit „echten“, „selbstgemachten“ Gedichten gegen die künstliche Intelligenz an, die er letztlich als Epoche der Menschheit empfindet, wie früher Stein oder Bronze den Evolutionsschüben der Menschheit einen Namen gegeben haben. Folglich sind die Gedichte auch in Zyklen eingereiht, die auf diese Epochen rekurrieren. Holz / Stein / Kupfer / Eisen / Plastik.

lewis carroll und ilse bintig, alice im wunderland„Alice gähnte und ließ sich ins Gras fallen. Plötzlich entdeckte sie ein weißes Kaninchen mit roten Augen. Es zog eine Uhr aus der Westentasche und rief: »Oh weh, ich komme ja zu spät.« So schnell es konnte, hoppelte das Kaninchen davon. Alice sprang auf und folgte dem seltsamen Tier. Sie sah, wie das Kaninchen unter der Hecke in einem großen Loch verschwand.“ (S. 9 f)

Als Alice einem weißen Kaninchen folgt, hätte sie nie damit gerechnet, dass sich ein anfangs langweiliger Tag zu einem großen Abenteuer entwickeln würde. Dabei trifft sie auf die unglaublichsten Gestalten und trifft am Ende auf die cholerische Herzkönigin, die sie in große Bedrängnis bringt.

kurt leutgeb, kirchstettenKurt Leutgeb geht in seinem Roman „Kirchstetten“ davon aus, dass nichts eindeutig ist. Das beginnt schon mit dem Ort Kirchstetten, der dreimal rund um Wien vorkommt und ständig verwechselt wird. Damit diese Orte wenigstens historisch unverwechselbar werden, verpasst ihnen der Autor jeweils eine einmalige Geschichte.

Das Kirchstetten an der Westbahn, in das sich einst der Dichter Auden zurückgezogen hatte, hat dabei noch den direktesten Kontakt zur üblichen Geschichte. Der sowjetische Dichter Breschnjew aus Tschechowgrad wird 1972 über Nacht ausgebürgert und muss mit zwei Wodka-Flaschen das Land verlassen. In Wien sucht er letztlich Kontakt zur Literaturgeschichte und lässt sich, nachdem er alle falschen Kirchstetten besucht hat, im richtigen absetzen, wo Eden wohnt und seiner Homosexualität huldigt. In einem Gespräch reden die Dichter über die Figuren der Weltgeschichte, wobei Eden eigentlich nur wissen will, warum in Russland die Autofahrer die Scheibenwischer abnehmen, wenn sie parken.

klaus kordon, krokodil im nacken„Die Familie Lenz, die so dicht an der Grenze nach WestBerlin wohnte, dass der eine oder andere westliche Schornstein zum Greifen nah erschien, trat eine Reise durchhalb Europa an – nur um auf die andere Seite dieser Grenze zu gelangen? Ein Umweg, über den sie sich zuvor oft lustig gemacht hatten, der ihnen aber nun ein wenig unheimlich vorkam. Immer wieder mussten sie einander Mut machend zulächeln.“ (S. 21)

Manfred Lenz will mit seiner Frau Hannah und seinen beiden Kindern Michael und Silke im Sommer 1972 über Bulgarien aus der DDR flüchten. Als sie dabei erwischt werden, kommen sie zunächst für einige Wochen in Bulgarien in Haft, bevor sie nach Ostberlin zurückgebracht werden, wo Manfred ein Jahr lang in Stasi-Haft verbringen muss.

simon konttas, ich war ein kleiner gottDie sensiblen Kunstformen Gedicht und Kurzgeschichten lassen sich in ihrer Halbwertszeit des Verfalls hinauszögern, wenn das Gedicht prosaische Züge trägt und die Kurzgeschichte psychologisch-poetische Tiefen aufsucht.

Simon Konttas treibt in seinen Texten Entscheidungen, Stimmungen oder Zustände auf die Spitze, dabei kommt es zu heilsamen Entladungen, einem Gewitterblitz nicht unähnlich. Für die Protagonisten ergibt sich daraus nicht unbedingt Erlösung, aber in therapeutischen Sitzungen mit sich selbst kommt es wenigstens zu einer Erleichterung des Problems.