Vom Kopf ins Bücherregal - Ein Buch entsteht: Das Lektorat

Wie viele Arbeitsschritte sind eigentlich nötig, bis ein Buch seinen Weg vom Kopf des Autors ins Bücherregal findet? Am Beispiel der Tiroler Märchen soll die Entstehung eines Buchs nachgezeichnet werden. Dabei wurden alle an der Herstellung des Buches beteiligten Personen über ihre Aufgaben, ihre Ausbildung und ihre Arbeit befragt.

Wer an die Entstehung eines Buches denkt, hat zunächst einmal das Bild von Autoren vor Augen, die vor einem Blatt Papier oder an ihrem PC sitzen und dabei sind, ihre Gedanken nieder zu schreiben. Viele Bücher nehmen auf diese Weise ihren Anfang. Es gibt daneben aber auch Bücher, die schon vor langer Zeit geschrieben worden sind und die seit Generationen immer wieder neu aufgelegt werden. Dazu gehören vor allem die klassischen Werke der Weltliteratur.

Ein großer Anteil bei der Herstellung eines Buchs kommt den Buchverlagen zu. Sie kümmern sich um die Korrektur der Texte ebenso, wie um die Herstellung und den Vertrieb der Bücher, für die sie die Verwertungsrechte besitzen.

In diesem Beitrag wird exemplarisch die Entstehung des Tiroler Märchen-Buchs näher beleuchtet, bei der es sich um eine so genannte Verlagsinitiative handelt. Der Verlag hatte in diesem Fall zuerst die Idee, ausgewählte Märchen eines alten Tiroler Märchenbuchs für die heutige Zeit neu erzählen zu lassen. Danach galt es für die Umsetzung eine geeignete Autorin suchen.

Der Beitrag Vom Kopf ins Bücherregal: Ein Buch entsteht beschreibt die einzelnen Arbeitsschritte auf dem Weg zur Entstehung des Buchs Tiroler Märchen. Dabei wurden all jene Personen befragt, die maßgeblich an der Buchentstehung beteiligt waren. Sie stellen ihre Berufe und ihre Arbeit am Buch näher vor.

Die Stationen einer Buchwerdung

Am Beginn des Buches Tiroler Märchen steht die Lektorin des Tyrolia-Verlags, deren Idee es war, die Märchensammlung der Brüder Zingerle der heutigen Zeit anzupassen und neu zu verlegen. Dem Verlagsleiter kam die Aufgabe zu, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Voraussetzungen zu entscheiden, ob und in welcher Form das Buch verlegt werden kann. Die Autorin hatte die Aufgabe, aus der vorhandenen Märchensammlung eine Auswahl zu treffen und diese für die heutige Zeit umzuschreiben. Ziel war es, Kinder und Erwachsene gleichermaßen anzusprechen. Die Illustratorin erhielt den Auftrag, das Buch mit passenden Bildern und Schmuckleisten zu illustrieren. Der Graphiker kümmerte sich um einen angenehm lesbaren Text, sowie das gesamte äußere Erscheinungsbild des Buches. Anschließend kam der fertige Text in die Druckerei, wo das Buch - gedruckt und gebunden - schließlich sein fertiges Aussehen erhielt.

 
Auf dem Weg, den ein Buch von der ersten Idee bis in die Regale der Buchhandlung nimmt, sind eine Reihe von Spezialisten aus dem Bereich des Buch- und Verlagswesen mitbeteiligt. Foto: Markt-Huter

 

In der Marketingabteilung wurde von Beginn weg überlegt, mit welchen Mitteln der Verkauf des Buches gezielt gefördert werden kann. Von der Vertriebsabteilung wurden die ersten Informationen über den Inhalt und voraussichtlichen Erscheinungstermin des Buches im Verlagsprogramm angekündigt. Die Presseabteilung hatte die Aufgabe, die öffentlichen Medien für die Tiroler Märchen zu interessieren. In der Werbeabteilung wurden schließlich die benötigten Werbematerialien und Werbeeinschaltungen hergestellt. Zu guter letzt nahm das Buch seinen Weg von der Druckerei in das Verlagslager, von wo aus es in die Schaufenster und Regale der einzelnen Buchhandlungen nahm, bevor es schließlich in die Hände der Leserinnen und Leser gelangte.

 

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Teil 1 - Das Lektorat: Ein Buch entsteht im Kopf

Die Idee für das Buch Tiroler Märchen wurde nicht zufällig im Verlagslektorat geboren. Zu den Aufgaben eines Lektors gehört ganz wesentlich auch die Ausarbeitung des Verlagsprogramms. Weitere Tätigkeitsfelder sind die Beurteilung und Auswahl eingesandter Manuskripte, die Überprüfung der Texte auf Rechtschreib- und Grammatikfehler sowie auf stilistische Mängel.

Diese Aufgaben werden häufig in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Autorinnen und Autoren durchgeführt. Eine nicht unbedeutende Tätigkeit des Lektors , deren persönliche Betreuung auch vom Lektorat übernommen wird. Lektoren können entweder bei einem Verlag fest angestellt sein oder als freie Lektoren auf Auftragsbasis arbeiten.

Lektoren spielen in Buchverlagen eine zentrale Rolle und prägen das Verlagsprofil entscheidend mit. Immer wieder passiert es, dass Autoren gemeinsam mit ihrem Lektor oder ihrer Lektorin den Verlag wechseln.

Auch im Fall der Entstehung der Tiroler Märchen nahm die Verlagslektorin eine wichtige Rolle ein. Mag. Annette Köhler, Lektorin des Tyrolia-Verlags, hatte die Idee, ähnlich dem Tiroler Sagen-Buch ein Tiroler Märchen-Buch herauszugeben. Mit der Märchensammlung der Brüder Zingerle aus dem Jahr 1852 war bereits eine geeignete Vorlage vorhanden.

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Wir haben die Lektorin des Tyrolia-Verlags Mag. Anette Köhler über ihre Arbeit als Lektorin, ihre Ausbildung und nach ihrem Beitrag bei der Entstehung des Tiroler Märchenbuchs befragt.

Lesen in Tirol: Was sind die wesentlichen Aufgaben eines Lektors?

Anette Köhler: Die Aufgaben eines Lektors hängen stark von der Größe eines Verlages ab. Je größer der Verlag, desto spezialisierter wird der Aufgabenbereich sein. Im Allgemeinen umfasst die Tätigkeit eines Lektors das konkrete Projektmanagement an den einzelnen Büchern. Das heißt, dass die geplanten Bücher durch alle Stationen des Entstehens, also von der Idee, dem ersten Autorenkontakt über die Manuskriptbearbeitung, die graphische Gestaltung und verschiedene Korrekturvorgänge bis zum Weg in die Druckerei begleitet werden.


Die Lektorin des Tyrolia-Verlags Mag. Anette Köhler hatte die Idee, ausgewählte Tiroler Märchen der Gebrüder Zingerle in einer zeitgemäßen Sprache neu herauszugeben. Foto: Markt-Huter

 

Ein anderer wichtiger Bereich ist die Programmplanung, wo grundsätzlich entschieden wird, welche Bücher gemacht werden. Zur Tätigkeit eines Lektors gehört es auch, die Kontakte zu den Autoren des Verlags zu pflegen, eingehende Manuskripte zu prüfen und den Markt zu beobachten. Der Lektor sucht dabei auch selbst nach Themen und Autoren. Das Lektorat arbeitet in der Regel sehr eng mit der Verlagsleitung und dem Marketing zusammen.

Lesen in Tirol: Welche Ausbildung oder Fertigkeiten werden für den Beruf des Lektors benötigt?

Anette Köhler: Für den Beruf des Lektors gibt es keine spezifische Ausbildung. Die meisten Lektoren können wie ich auf ein abgeschlossenes geisteswissenschaftliches Studium verweisen. Konkret muss aber immer der entsprechende Verlagsschwerpunkt betrachtet werden. Für einen medizinischen Fachbuchverlag werden selbstverständlich andere Fachkenntnisse erwartet als für einen Verlag mit einem literarischen Schwerpunkt. Daneben sind aber auch praktische Erfahrungen von großer Bedeutung, z. B. dass bereits während des Studiums Praktika oder Volontariate in Verlagen absolviert werden.

Die erforderlichen Kenntnisse richten sich nach dem Verlagsprofil und den verschiedenen Themenbereichen innerhalb eines Verlags. Nachdem das Büchermachen zunehmend komplexer wird, benötigt ein Lektor auch sehr viel Erfahrung im Bereich der Organisation. Grundsätzlich braucht ein Lektor vor allem ein entsprechendes Sprachgefühl und die Fähigkeit, sich in Sachthemen rasch einzuarbeiten. In einem Verlag wie dem unseren - mit einem relativ breit gestreuten Programm - ist ein Lektor in gewisser Weise Spezialist fürs Allgemeine. In der Zusammenarbeit mit den Autoren ist natürlich auch Kommunikationsfähigkeit gefragt.


Lektoren begleiten ihre Bücher auf allen Stationen: von der Idee, zum ersten Autorenkontakt, über die Manuskriptbearbeitung, die graphische Gestaltung und verschiedene Korrekturvorgänge bis zum Weg in die Druckerei sind sie dabei. Foto: Markt-Huter

 

Lesen in Tirol: Wie schaut die Arbeit einer Lektors konkret aus?

Anette Köhler: Die Arbeit eines Lektors ist sehr vielfältig. Der Bogen erstreckt sich von den ersten Gesprächen mit den Autoren über Buchideen und Buchprojekte bis hin zur schriftlichen Entwicklung von Konzepten, in denen Zielgruppen und Inhalte definiert werden.

Neben dem organisatorischen und konzeptionellen Bereich steht die konkrete Arbeit am Manuskript. Dabei werden die Texte bearbeitet, korrigiert und anschließend wieder mit den Autoren besprochen. Der Lektor steht aber auch in sehr engem Kontakt mit dem Graphiker, mit dem besprochen wird, wie das Buch zu gestalten ist, welches Format und welche Schriftgröße verwendet werden soll. All das richtet sich wiederum nach der Zielgruppe eines Buches, ob es nun z.B. Kinder, Jugendliche oder ältere Menschen sind.

Die Tätigkeit eines Lektors umfasst somit alle Schritte auf dem Weg der Entstehung eines Buches. Sie beginnt bei der Idee zu einem Buch und reicht bis zu dem Tag, an dem das Buch seinen Weg in die Druckerei nimmt und dann sozusagen in die Freiheit entlassen wird. Der Lektor ist Ansprechpartner für die Autoren und bildet somit die Schnittstelle zwischen den Autoren und dem technischen Bereich im Verlag. Das Lesen und Korrigieren der Texte stellt also nur einen kleinen, wenn auch nicht unwichtigen Teil der Tätigkeit eines Lektors dar. Als weitere Aufgaben eines Lektors können noch das Verfassen von Klappentexten und Titelformulierungen genannt werden.

Lesen in Tirol: Wie hat sich das Buchprojekt Tiroler Märchen entwickelt und was waren Ihre konkreten Aufgaben als Lektorin?

Anette Köhler: Bei Buchprojekten gibt es grundsätzlich zwei Wege. Beim so genannten Autorenprojekt tritt der Autor mit seiner Idee an den Verlag heran. Hier prüft der Lektor zunächst, ob es grundsätzlich einen Bedarf für diese Idee gibt, d.h. ob eine klare Zielgruppe festgestellt werden kann und sich ein entsprechendes Leserinteresse erwarten lässt. Außerdem müssen von Seiten des Verlags die notwendigen Vertriebsstrukturen vorhanden sein, um das jeweilige Buch auch entsprechend auf den Markt bringen zu können.


Neben organisatorischen und konzeptionellen Tätigkeiten gehört die konkrete Arbeit am Manuskript zu den zentralen Aufgaben eines Lektors. Dabei werden die Texte bearbeitet, korrigiert und mit den AutorInnen besprochen. Foto Mark-Huter

 

Bei den Tiroler Märchen sind wir den umgekehrten Weg gegangen. Wir haben im Verlag die Idee entwickelt, die alten Tiroler Märchen der Brüder Zingerle wieder auflegen zu lassen, weil sie als Tiroler Kulturgut natürlich sehr gut in unser Verlagsprogramm passen. Wir wollten - ganz im Sinne der Brüder Zingerle - ein Märchenbuch für die ganze Familie machen, das in jedem Alter gelesen werden kann. Bei der Suche nach einem geeigneten Autor sind wir sehr rasch auf Karin Tscholl gestoßen, die als Frau Wolle Märchen für Erwachsene erzählt und einen bereits erprobten, zeitgemäßen, kreativen und märchengerechten Zugang zu diesen alten Themen hat.

Wir sind an die Autorin Frau Wolle herangetreten und haben Vorgespräche geführt, in denen bereits Textproben erarbeitet wurden, um den sprachlichen Stil zu entwickeln und Auswahlkriterien für die einzelnen Märchen zu finden. Bei der Auswahl aus der großen Märchensammlung der Brüder Zingerle haben wir versucht, interessante Märchen sowohl für Kinder als auch für Erwachsene auszuwählen, neben den bekannten auch weitgehend unbekannte Texte zu finden und vor allem auch solche, die in gewisser Weise typisch für Tirol sind. Für die Auswahl der Geschichten waren aber auch Stil und Inhalt der einzelnen Märchen ausschlaggebend.

Der nächste Arbeitsschritt bestand darin, geeignete Illustrationen zu den Märchen zu finden. Diese sollten das Thema nicht nur naiv und klischeehaft untermalen, sondern einen weiteren, fantasievollen Zugang zu den Märchen ermöglichen und auch künstlerisch wertvoll sein. Nach längerer Suche gelang es uns die bayerische Künstlerin Irmingard Jeserick zu gewinnen, die sich in ihrem künstlerischen Leben bereits sehr intensiv mit Märchen beschäftigt hat. Die räumliche Distanz zwischen Autorin und Illustratorin hat sicherlich dabei geholfen, dass beide ihre eigenen Inspirationen und ihre Kreativität nahezu unbeeinflusst voneinander ausleben konnten, was dem Buch - meiner Ansicht nach - sehr zu Gute gekommen ist.


Bei Kinderbüchern spielen Illustrationen eine sehr wichtige Rolle. Lektoren müssen die zu den verchiedenen Büchern passenden Illustrationen finden. Foto: Markt-Huter

 

Nachdem die Autorin Karin Tscholl ihre Texte fertig gestellt hatte, war ich an der Reihe, die Texte Korrektur zu lesen, zu überarbeiten und anschließend die Änderungen mit der Autorin zu besprechen. Außerdem musste nun entschieden werden, wo im Buch z. B. ganzseitige Illustrationen und wo nur Schmuckleisten oder Initialen stehen sollten. Jetzt war es auch an der Zeit, mit dem Graphiker Verbindung aufzunehmen, um die entsprechende Schrifttype auszuwählen, die sowohl zum Stil der Illustrationen passen als auch für Groß und Klein gut lesbar sein muss. Danach konnte der Text in den Satz gehen und das Buch fertig gestaltet werden.

Lesen in Tirol: Was war für das Lektorat der Tiroler Märchen speziell zu beachten?

Anette Köhler: Ziel war es, den Originaltexten möglichst nahe zu bleiben. Wir wollten sie nicht zwanghaft modernisieren, sondern sie behutsam quasi mit Seidenhandschuhen entstauben. Es sollte jene zeitlose Faszination, die in ihnen steckt, wieder frei gegeben werden, ohne dass altertümliche Formulierungen oder überkommene Moralvorstellungen den Zugang zu den Märchen verstellen. Während der Neubearbeitung der Texte gab es zahlreiche Diskussionen, in denen es um einzelne Begriffe, um das heutige Sprachgefühl ging. Bei vielen Wörtern wurde lange überlegt, ob sie in der heutigen Zeit von Kindern und Schülern überhaupt noch verstanden werden. Märchen sind Erzähltexte, deswegen war es uns auch besonders wichtig, dass die Sprache, der Rhythmus der Sätze, leicht von der Zunge rollt.

Lesen in Tirol: Wie sehr beeinflusst das Lektorat letztendlich einen Text?

Anette Köhler: Es ist ganz unterschiedlich und hängt vor allem davon ab, wie sehr Autoren eine Unterstützung durch den Lektor wünschen oder benötigen. Bei den Tiroler Märchen hat die Autorin  im Vorfeld der Entstehung anhand von Probetexten erarbeitet, in welche Richtung sich Sprache und Stil bewegen sollen. Die gründliche gemeinsame Diskussion dieser Texte hat sich als sehr nützlich erwiesen. Es gab selbstverständlich auch danach noch Textpassagen, über die wir diskutiert haben, ob vielleicht der Ausdruck geändert oder der Text ein wenig gestrafft werden soll. Es war ein sehr konstruktives, kreatives Miteinander. Diese Diskussionen reichten bis zum Setzen von Absätzen, um den Text dem Lesefluss anzupassen, was uns von Anfang an ein großes Anliegen war.

 
Von der ursprünglichen Idee bis zum fertigen Buch Tiroler Märchen ist in etwa ein Jahr vergangen. Die Lektorin Anette Köhler war in dieser Zeit ungefähr 100 Arbeitsstunden mit dem Buch beschäftigt. Foto: Markt-Huter

 

Lesen in Tirol: Über welchen Zeitraum waren Sie als Lektorin mit dem Tiroler Märchenbuch beschäftigt?

Anette Köhler: Von der ursprünglichen Idee bis zum fertigen Buch ist ungefähr ein Jahr vergangen, wobei ich natürlich in den verschiedenen Entstehungsphasen unterschiedlich intensiv daran mitgearbeitet habe. Nach den vorbereitenden Gesprächen ist zunächst der Autor  sehr gefordert. Erst wenn das Buch geschrieben ist, beginnt die konkrete Arbeit am Buch im Verlag. Das betrifft vor allem die letzten drei Monate vor der Veröffentlichung des Buches. Insgesamt nehmen Bücher wie die Tiroler Märchen einen Lektor ungefähr 100 Arbeitsstunden in Anspruch.

Lesen in Tirol: Vielen Dank für das Interview!

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Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 30-07-2008

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