Vom Kopf ins Bücherregal - Ein Buch entsteht: Die Autorin

Wie viele Arbeitsschritte sind eigentlich nötig, bis ein Buch seinen Weg vom Kopf des Autors ins Bücherregal findet? Am Beispiel der Tiroler Märchen soll die Entstehung eines Buchs nachgezeichnet werden. Dabei wurden alle an der Herstellung des Buches beteiligten Personen über ihre Aufgaben, ihre Ausbildung und ihre Arbeit befragt.

Im zweiten Teil des Beitrags Vom Kopf ins Bücherregal: Ein Buch entsteht soll die Tätigkeit der Autorin, ihre Arbeit am Text sowie ihre Zusammenarbeit mit dem Verlag näher beleuchtet werden.

Teil 2: Die Autorin - Das Buch wird geschrieben

Der Autor gilt als geistiger Urheber, als Verfasser eines Werks. Es gibt keine spezielle Ausbildung zum Autor und so kann sich grundsätzlich jeder Mensch als Autor betätigen.

Dabei kann die Veröffentlichung eines literarischen Werkes über verschiedene Wege erfolgen. Texte können z.B. im Internet, als e-Book, im Eigenverlag, als Book on demand oder auf dem klassischen und häufigsten Weg über einen Buchverlag veröffentlicht werden. Hier tritt der Autor seine Verwertungsrechte an den Verlag ab, von dem er im Gegenzug eine Vergütung und Anteile an den verkauften Büchern erhält.

Für Schriftsteller, Drehbuchautoren, Journalisten u.a. übernimmt eine eigene Verwertungsgesellschaft die Aufgabe, die Einnahmen, die bei Aufführungen, Sendungen und Veröffentlichungen entstandenen sind, jährlich den AutorInnen zukommen zu lassen. In Österreich kommt diese Aufgabe der Literar.mechana zu.

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Wir haben Mag. Karin Tscholl, die hauptberuflich als Märchenerzählerin unter dem Pseudonym Frau Wolle auftritt, über ihre Arbeit als Autorin des Tiroler Märchenbuchs und ihre Zusammenarbeit mit dem Buchverlag befragt.

Lesen in Tirol: Wie haben Sie als Autorin die Entstehung des Tiroler Märchenbuches in Zusammenarbeit mit dem Verlag, von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Abgabe des Manuskripts erlebt?

Karin Tscholl: Im Mai 2006 bin ich von der Lektorin des Tyrolia-Verlags, Mag. Anette Köhler, kontaktiert worden, die mir bei einem Treffen das Projekt näher vorgestellt hat. Ich habe mir daraufhin die Märchen angeschaut und einen Text probehalber bearbeitet, einfach nur um zu wissen, was ich mit diesen Texten anfangen kann.

 
Die bekannte Tiroler Märchenerzählerin Frau Wolle alias Karin Tscholl wurde vom Verlag mit dem Bearbeiten und Schreiben des Tiroler Märchenbuchs beauftragt. Foto: Markt-Huter

Nachdem ich mich entschlossen habe den Auftrag anzunehmen, sind weitere Gespräche und finanziellen Verhandlungen geführt worden. Im September, Oktober 2006 war meine Mitarbeit als Autorin schließlich fixiert und im Jänner 2007 konnte ich die Auswahl der Märchen für das Buch abschließen. Danach habe ich mit der Arbeit an den einzelnen Geschichten erst richtig begonnen.

Lesen in Tirol: Nach welchen Kriterien sind die Geschichten für das Tiroler Märchenbuch ausgewählt worden und wie sind Sie dabei vorgegangen?

Karin Tscholl: Meine erste Aufgabe bestand darin, aus den Tiroler Märchen, die von den Brüdern Zingerle vor mehr als 150 Jahren gesammelt worden sind, eine Auswahl zu treffen. Dazu musste ich zunächst die in zwei Bänden erschienene Märchensammlung der Brüder Zingerle ausfindig machen.

Ich habe alle 120 Märchen der Brüder Zingerle sehr genau durchlesen und dabei bereits grob vorsortiert, welche für das neue Tiroler Märchenbuch in Fragen kommen und welche nicht. Viele der Märchen sind sehr in der Zeit des 19. Jahrhunderts verwurzelt und heute einfach nicht mehr verständlich. Manche Geschichten lassen sich nicht gut erzählen, sind zu brutal oder einfach zu wenig interessant. Wieder andere Erzählungen der Sammlung sind eigentlich mehr den Sagen als den Märchen zuzuordnen.

Bei der Auswahl musste außerdem berücksichtigt werden, dass viele Geschichten der Märchensammlung sehr ähnlich sind. Es sollten nicht alle Märchen des neuen Buchs gleich beginnen und die Inhalte und Konstellationen der Figuren sollten möglichst vielfältig sein. Beispielsweise beginnen ungefähr 40 der 120 Zingerle-Märchen mit dem Satz: Ein Vater hat drei Söhne ... und bei sehr vielen der Märchen kommt ein Dummling vor, der Hans genannt wird. Wichtig war es schließlich auch, die bekannten Klassiker der Märchensammlung der Brüder Zingerle nicht zu vergessen.

Zu guter Letzt spielte auch mein eigener Geschmack als Märchenerzählerin eine ganz wesentliche Rolle, wobei sich für mich die Frage stellte, welche Märchen ich meinem Veranstaltungsrepertoire hinzufügen wollte. Für mich sind vor allem Märchen interessant, die eher ungewöhnlich sind, also Neuentdeckungen die sich in anderen Märchensammlungen so nicht finden lassen.


Am Beginn der Arbeit zum Buch Tiroler Märchen stand die Autorin vor der Aufgabe, die Märchensammlung der Gebrüder Zingerle zu lesen und aus den knapp 120 Geschichten eine Auswahl zu treffen. Foto: Markt-Huter

Im Tiroler Märchenbuch befinden sich nun 23 Märchen der Brüder Zingerle, die ich um zwei Märchen aus meinem eigenen Repertoire ergänzt habe. Dies sind Märchen, die sich fast auf der ganzen Welt finden lassen und die von mir lediglich nach Tirol versetzt worden sind.

Lesen in Tirol: Wie hat nun die Arbeit an den ausgewählten Texte ausgesehen?

Karin Tscholl: Mit der Bearbeitung der einzelnen Geschichten begann für mich eigentlich die lustige, kreative und spannende Arbeit am Buch. Zunächst habe ich versucht mich sehr eng an den Originaltext zu halten und die Texte der Brüder Zingerle direkt am Computer zu bearbeiten. Ich musste aber sehr schnell erkennen, dass ich mit dieser Methode weder meine Stärken nutzen noch Freude an der Arbeit haben würde.

Ich habe also einen ganz anderen Weg eingeschlagen und damit begonnen, die ausgewählten Märchen ganz einfach nachzuerzählen. Damit ist es mir gelungen, ihnen eine mündliche Sprache zu geben. Ich habe dazu die Märchen Bekannten und Freunden vorgetragen und mich dabei selbst mit einem Tonband aufgenommen. Zu den einzelnen Märchen sind auf diese Weise mehrere verschiedene Versionen entstanden, die sich von mal zu mal mit mehr Details angereichert haben. So konnte ich am Ende auf Formulierungen zurückgreifen, die aus dem unmittelbaren Erzählen heraus meist einmalig sind.

Bei der anschließenden Bearbeitung der Texte habe ich meine eigene, nacherzählte Version der Märchen mit den Originaltexten der Brüder Zingerle verglichen. Beim Niederschreiben der Märchen ging es mir schließlich darum, der Originalversion treu zu bleiben und dennoch meine eigene Erzählweise einzubringen. Ich wollte den Geschichten vor allem jene Teile beifügen, die mir beim direkt beim Erzählen eingefallen sind und die mir besonders gefallen haben.

Lesen in Tirol: Erzählen Sie anhand eines Beispiels, wie Sie die Geschichten inhaltlich erarbeitet haben?

Karin Tscholl: Ich habe die Märchen intensiv analysiert und mir dabei die Kriterien zu den einzelnen Geschichten notiert: also was ist mir wichtig und was gefällt mir an ihnen. Um eine Übersicht zu erhalten, habe ich das Ganze auf großen Papierblättern festgehalten und dabei den verschiedenen Kriterien bestimmte Farben zuzuweisen.
Für die Geschichte Linker Wurm, ein Rechter Wurm und Haselwurm habe ich mir z.B. notiert: Ich liebe das Wasser.


Der Ausarbeitung der Märchen ging eine intensive Analyse der einzelnen Geschichten voran. Um eine Übersicht zu erhalten, hat die Autorin ihre Ideen auf großen Papierblättern notiert und den verschiedenen Kriterien bestimmte Farben zugewiesen. Foto: Markt-Huter

In diesem Märchen kommt eine Stadt vor, in der es keinen einzige Quelle gibt und in der daher das Wasser teurer ist als Wein. Ein Jüngling erfährt vom Linken Wurm, dem Rechten Wurm und dem Haselwurm, dass sich genau in der Mitte der Stadt eine versteckte Quelle befindet. Auf die Textstelle, wo plötzlich in der Stadt das Wasser zu sprudeln beginnt, freue ich mich als Erzählerin besonders, wenn es dann heißt: Sie freuten sich und feierten. Und bei diesem Fest wurde mehr Wasser als Wein getrunken. Dieser Text, der im Original der Zingerle-Brüder nicht vorkommt, liegt aber beim Erzählen richtig gehend in der Luft.

Schön an dieser Geschichte sind auch einzelne Figuren wie der dumme Neid oder die klugen und seltsamen Würmer. Was die Bezeichnungen Linkwurm, Rechtwurm und Haselwurm wirklich bedeuten sollen, kann ich zwar nicht wissenschaftlich erklären, aber die Namen sprechen mich an. Ich habe diese Geschichte, wie auch die anderen, auch meinen Nachbarskinder erzählt, die sich die Märchen aufmerksam angehört und dabei recht gute Fragen gestellt haben. So konnte ich feststellen, welche Wörter bei der Geschichte noch erklärungsbedürftig waren. Gerade die Arbeit mit den Kindern hat sich als überaus produktiv erwiesen, zumal Erwachsene und Kinder Zielpublikum des Buches sind.

Lesen in Tirol: Worauf musste in sprachlicher Hinsicht bei der Bearbeitung der Märchentexte besonders geachtet werden?

Karin Tscholl: Die Märchensprache der Texte darf zwar einen märchenhaften, sprich altmodischen und poetischen Anstrich haben, dennoch müssen die Märchen leicht vorzulesen und verständlich bleiben. Die Zingerle Märchen sind heute nur noch schwer vorlesbar. Als eines meiner Hauptziele habe ich es angesehen, die Texte so zu bearbeiten, dass sie möglichst leicht von der Zunge rollen. Insofern ist das Buch vor allem zum lauten Vorlesen gedacht.


Da die Texte der Gebrüder Zingerle heute nur noch schwer vorlesbar sind, war es eine der wichtigsten Aufgaben der Autorin, diese sprachlich bearbeiten, damit sie beim Erzählen leicht von der Zunge rollen. Foto: Markt-Huter

Schwierigkeiten beim Schreiben haben vor allem die zahlreichen Wortwiederholungen bereitet, die im Originaltext sehr häufig vorkommen oder die unzähligen Füllwörter wie und sowie komplizierte Satzklammern, die das Verständnis des Textes und der Geschichte unglaublich erschwert haben.

Gerade beim Erzählen einer Geschichte in hochdeutscher Sprache ist es wichtig, bereits am Beginn eines Satzes zu wissen, welches Verb am Ende eines Satzes stehen wird. Viele kurze Sätze erweisen sich dabei sowohl für das Verstehen von Texten als auch beim Erzählen der Geschichten als große Erleichterung.

Lesen in Tirol: Im Tiroler Märchenbuch kommt den Illustrationen eine wichtige Bedeutung zu. Welche Rolle spielen Bilder beim Erzählen eines Märchens?

Karin Tscholl: Das ist richtig. Den Illustrationen ist im Tiroler Märchenbuch eine große Bedeutung zugekommen. Es mussten mehrere IllustratorInnen kontaktiert werden, bevor Frau Köhler schließlich die Illustratorin Irmingard Jesserick gewinnen konnte.

Als Märchenerzählerin stehe ich Illustrationen grundsätzlich mit einer gewissen Distanz gegenüber, weil es zu meinen Aufgaben als Märchenerzählerin gehört, selbst die Bilder in den Köpfen der Zuhörer entstehen zu lassen. Eine Illustration die zuviel zeigt, hemmt häufig die Phantasie, eigene Bilder zu erzeugen. Ein Beispiel: Beschreibe ich einen Märchenhelden: Er war gerade richtig groß!, dann weiß niemand wie groß er wirklich war, aber jeder entwickelt dazu sein eigenes, inneres Bild, der Größe dieses Menschen.

 
Für AutorInnen endet die Arbeit an einem Buch meist nicht mit dem Schreiben. Danach stehen zahlreiche Buchpräsentationen auf dem Programm. Bei den Tiroler Märchen stellen die Erzählabende der Autorin eine wichtige Werbung für das Buch dar. Foto: Markt-Huter

Sage ich: Ihre Augen hatten die Farbe einer Kastanie, die eben aus der Schale springen!, stellt sich ein anderes Bild ein, als wenn man die Farbe der Augen auf einem Bild betrachtet. Für mich als Erzählerin ist das Verhältnis zu Illustrationen daher kein einfaches. Ein Kleid wie der Himmel am frühen Morgen oder ein Kleid wie die Sonne oder der Mond ist einfach etwas anderes als ein gemaltes Kleid. Für mich als Erzählerin geht dabei sehr viel verloren. Sobald eine Illustration einer solchen Figur vorliegt, sind ihre Größe, Haarfarbe oder Aussehen festgelegt. Ich finde aber, dass es Frau Jesserik in vielen Bildern gelungen ist, die Fantasie auch anzuregen und den Märchen noch eine weitere Dimension zu verleihen.

Lesen in Tirol: Welche Aufgaben warten auf Sie als Autorin nach der Abgabe des Manuskripts?

Karin Tscholl: Es wird zahlreiche Buchpräsentationen geben, die mit einem großen Präsentationsabend im ORF-Landesstudio starten. Hier werden auch die Originalbilder des Buches ausgestellt. Bis jetzt sind sieben Präsentationsabende in ganz Tirol vereinbart worden, wo ich jeweils fünf bis sechs Tiroler Märchen erzähle. Meine eigenen Abende als Erzählerin stellen für den Verlag eine wichtige Werbemöglichkeit dar. Viele Leute haben bereits eine meiner 70 - 100 Märchenabende besucht, die ich jedes Jahr als Märchenerzählerin gestalte. Und jeder Auftritt bedeutet gleichzeitig immer auch Werbung für das Tiroler Märchen-Buch.

Frau Wolle hat Neben der Tätigkeit als Autorin Mit ihren Auftritten als Märchenerzählerin macht die Autorin gleichzeitig auch immer Werbung für die Tiroler Märchen

Mittlerweile hat es zwischen Oktober 2007 und März 2008 16 Buch-Präsentations-Abende in ganz Tirol und auch in Wien gegeben.

Lesen in Tirol: Vielen Dank für das Interview!

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Exkurs: Die Tiroler Märchen-Sammlung der Gebrüder Zingerle

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte im deutschsprachigen Raum eine umfangreiche Sammlertätigkeit ein. Nach dem Vorbild der Gebrüder Grimm wurden im gesamten deutschsprachigen Raum Märchen und Sagen gesucht und niedergeschrieben. Für den Tiroler Raum gelang es den Brüdern Ignaz und Joseph Zingerle, beide Tiroler Literaturwissenschaftler, mehr als 120 Märchen zusammen zu stellen. Der erste Band erschien unter dem Titel Kinder- und Hausmärchen aus Tirol im Jahr 1852, der zweite Band Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland im Jahr 1854.

 
Der in Meran geborene Ignaz Vinzenz Zingerle war Universitätsprofesser und gilt als der Begründer der Innsbrucker Germanistik. Er veröffentliche zahlreiche Bücher wie z.B. die Sagen aus Tirol. Gemeinsam mit seinem Bruder Joseph Zingerle sammelte er - nach dem Vorbild der Gebrüder Grimm - mehr als 120 Tiroler Märchen. Bilder: Brenner-Archiv

Die Brüder Ignaz Vinzenz und Joseph Zingerle stammten aus einer bekannten Gelehrtenfamilie aus dem Vinschgau. Ignaz Vinzenz Zingerle war Universitätsprofessor in Innsbruck und gilt als Begründer der Innsbrucker Germanistik. Die Sammlung Kinder- und Hausmärchen aus Tirol fand in der damaligen Zeit viel Beachtung, wobei zahlreiche Motive der Tiroler Märchen in mehr oder weniger ähnlicher Form auch in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm wieder zu finden sind, wie z.B. das Purzinigele, das in den Märchen der Gebrüder Grimm Rumpelstilzchen heißt. Auf Sagen.at sind 76 Märchen der Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland aus dem Jahr 1854 zu finden.

 

 

 

 

Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 06-08-2008

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