Spätestens seit der Komödie Scheidung auf Italienisch hat das Qualitätsmerkmal „italienisch“ etwas von pfiffig, pragmatisch und alltagskonform. Erben auf Italienisch ist also ein Vorgang, bei dem die Beteiligten klug auf den eigenen Vorteil achten.

Piersandro Pallavicini kümmert sich in seinen Romanen vorwiegend um jene Altersklasse, die kurz vor dem Sterbebett noch einmal die Sau rauslässt. Nach dem grandiosen „Ausfahrt Nizza“, wo durchgegraute Protagonisten mit viel PS und Getränken alles bis zum Morgengrauen geklärt haben, kommt in „Erben auf Italienisch“ ein Industrieller ins letzte Scheinwerferlicht des Daseins. Die einen halten ihn für dement, die anderen für gefährlich.

Manche Helden sind so fies, dass sie in der Literatur selbst bei größtem Bemühen um einen hellen Fleck nur in voller Kot-Bräune dargestellt werden können.

Pascal Optional geht in seinen schrägen Texten jenen Rissen nach, in denen sich Ungustln, komische Verwandte oder aufgeblasene Kleindarsteller gerne verstecken. Während an der Oberfläche alles leiwand ist, ducken sich in diesen abartigen Nischen des Kleinformat-Niveaus allerhand Kleinbeamte, die absurde Tätigkeiten auszuführen haben.

Regionale Krimis summen in erster Linie einmal die Vorzüge der Geschichte wie eine Hymne ab, ehe sich darin kurz das regionale Böse zeigt, das selbstverständlich von den Guten in die Schranken verwiesen wird.

Lenz Koppelstätter zeigt mit seinem natur-intelligenten und auch durch Studien intellektuell auf die Höhe der Zeit gebrachten Commissario Grauner einen Typus Südtiroler, wie er weltaufgeschlossen und historisch abgeklärt durchaus Gang und Gäbe ist. Diesem Grauner, der seine Fälle mit der bodenständigen Hingabe eines Landwirtes abarbeitet, ist ein junger Inspektor aus Neapel beigestellt, der mit seiner Außensicht den lokalen Gebräuchen die entscheidenden Fragestellungen in den Weg wirft.

Im kulturell ausgedünnten Tirol der 1950er Jahre gilt die französische Kultur als Befreiung und Fenster zur Welt, die aufkeimenden heimischen Künste werden von französischen Strömungen geleitet, Grete und Josef Leitgeb etwa übersetzen den kleinen Prinzen von Saint-Exupéry ins Deutsche. Mittlerweile ist die Frankophilie ziemlich abgeebbt und es fällt geradezu auf, wenn der Tiroler Wolfgang Gösweiner einen französischen Gegenwartsroman übersetzt.

In Pierre Chazals Roman „So etwas wie Familie“ geht es um angewandtes Familienleben im Großen und im Kleinen. Als sich die drogensüchtige Hélène in den Suizid stürzt, hinterlässt sie ihren achtjährigen Sohn Marcus dem Gemüsehändler und Ich-Erzähler Pierre. Dieser versucht als sogenannter „Patenonkel“ dem Kind eine Perspektive zu geben und es vor allem besser zu machen als sein Vater, der früher von der Couch aus im Dauer-Suff seine Kindheit gesteuert hat.

Müde Schülerinnen, Lehrerinnen und Bibliothekarinnen träumen davon, dass sie etwas gelesen haben, ehe sie eingeschlafen sind, ohne dass sie etwas gelesen haben.

Bernhard Aichners Thriller-Literatur zielt darauf ab, den Menschen ein Gefühl von Lektüre zu vermitteln, ohne dass sie je eine Lektüre betreiben müssen. Nach Totenfrau heißt der neue Roman jetzt Totenhaus, aber der Titel wird ohnehin kaum genannt, man verlangt nach dem neuen Aichner oder, wenn man Aichner-Profi ist, nach dem weißen, nachdem der erste schwarz gewesen ist.

Was mag da Aufregendes herauskommen, wenn in Tübingen eine Novelle gedruckt wird, worin zwanzig Jahre nach der Matura sich Lieblingslehrer und Lieblingsschüler treffen und beide als Germanisten unterwegs sind?

Joachim Zelter lässt gar keinen Zweifel aufkommen, mit der Novelle will er eine zickige Begebenheit abgeklärter Menschen beschreiben, die alles schon erlebt haben und daher nichts mehr erleben wollen. „Wiedersehen“ geht von der Konstellation aus, die im Schulbetrieb immer wieder vorkommt: nach der Schule wird diese verklärt und die ehemaligen Lehr-Sonderlinge werden zu Göttern.

Regionalkrimis haben meist die Struktur eines Faltprospektes, der in geographischen Belangen dem Tourismus und in menschlichen Agenden der Psychiatrie huldigt. Gute Regionalkrimis führen also das touristische Publikum der Hotellerie und die Einheimischen der Psychiatrie zu.

Lisa Lercher hat sich für die Bestätigung dieser These die Wachau ausgesucht. Der Major Eigner ist zu seinem sechzigsten Geburtstag in die Donau gefallen, wird gerade noch gerettet und ist seither gaga, also pensionsreif. Eigentlich arbeitet er in Wien, aber wo immer er sich aufhält, bricht ein Fall aus dem Boden. So auch in der Wachau, wo Kinder wie in einem Marillen-Film auf einer Baustelle spielen und ein menschliches Skelett entdecken.

So etwas gibt es nur in der Literatur: Einen glatten Titel, flach wie ein Parkplatz, und gleich aufregende Lebenspraktika wie das Abschneiden von Warzen mit dem Taschenmesser und dem Geruch von am Dachboden Erhängten des letzten Winters.

Stephan Denkendorf greift in seiner Erzählung „Die Hutfabrik“ in die Seelenkiste voller pastellfarbenen Blutes, er trägt die Sätze kurz und dick auf, um eine Aura zu beschreiben, die im Prospekt als „1900“ ausgerufen ist und sich dann bis fast in die jüngste Gegenwart hineinzieht.

Warum tut sich das die Meeresschildkröte an, dass sie Tausende Kilometer schwimmt, um zu fressen, und dann wieder zurück hechelt, um die Eier für die nächste Generation in den Heimatsand zu vergraben?

Delphine Coulin lässt das große Thema Migration auf den Mali-Bürger Samba Cissé einprasseln. Er ist nach dem Tod seines Vaters mit einem frischen Matura-Zeugnis in der Tasche aus Mali fortgegangen, um ähnlich der Schildkröte für das Essen und Überleben seines Clans zu sorgen. Nach mehrmaligem Scheitern gelangt er seltsam hartnäckig nach Paris, wo er bei seinem Onkel Unterschlupf findet. Knapp zehn Jahre lang geht alles gut, ehe Samba mit seiner Gutgläubigkeit gegenüber der Behörde alles ins Wanken bringt.

Held dieses kleinen Kosmos hinter einem Graubündner Bahnhof ist eindeutig die Sprache. Alles, was zur Sprache kommt, klingt heimisch und exotisch zugleich.

Arno Camenisch erzählt aus der Sicht eines großen Kindes vom Jahresablauf in einem kleinen Dorf, das wie in der Schweiz üblich, durch die Eisenbahn stündlich Anschluss an die Welt hat. Hinter dem Bahnhof ist meist die Subkultur situiert, schräge Geschäfte, Nutten und Drogen werden in Großstädten hinter dem Bahnhof abgewickelt. Nicht so hier, ein paar Vaterlandsverteidiger nehmen ihre Ausrüstung aus dem Kofferraum und fahren irgendwohin, um sich mit einer Übung in der generellen Motivation aufzufrischen.