Ursula K. Le Guin, Grenzwelten

ursula le guin, grenzwelten„Meer – Wald. Das war’s, was auf New Tahiti zur Auswahl stand. Wasser und Sonne oder Dunkelheit und Laub. Aber jetzt waren Männer gekommen, um der Dunkelheit ein Ende zu bereiten und das Durcheinander an Bäumen in saubere, gesägte Bohlen zu verwandeln, die auf der Erde kostbarer waren als Gold.“ (S. 22 f)

„Grenzwelten“ bietet zwei Science-Fiction-Romane aus Ursula K. Le Guins „Hainish-Zyklus“ aus den Jahren 1976 und 2000 in einer Neuübersetzung von Karen Nölle. Im Zentrum beider Romane steht die Auseinandersetzung mit Ausbeutung und Unterdrückung fremder Welten und Kulturen für den eigenen Gewinn.

Der erste Roman „Das Wort für Welt ist Wald“ erzählt die Geschichte einer militärisch organisierten Holzfällerkolonie auf dem Planeten Athshe. Holz gilt auf der Erde für kostbarer als Gold und so wird die einheimische Bevölkerung, der selbst der Status des Menschseins abgesprochen wird, skrupellos von den Kolonisten als Sklavenarbeiter und Diener ausgebeutet.

Zu Beginn der Handlung erfährt Captain Davidson, der Leiter des Holzfällerlagers Smith Camp, dass eine „neue Fuhre Frauen“ (S. 17) von der Erde in Centraville, dem Hauptquartier der Kolonie angekommen sei. Er macht sich auf den Weg dorthin, in der Hoffnung eine der begehrten und seltenen Frauen für sich zu bekommen. Als er von seinem Ausflug nach Smith Camp zurückkehrt, muss er feststellen, dass das Lager überfallen worden ist und alle Menschen tot sind. Bei seinen Untersuchungen wird Davidson von vier Athesianern überwältigt. Einer davon ist Selver, dessen Frau Thele von Davidson ein paar Monate zuvor vergewaltigt worden ist.

Die Athesianer erlauben Davidson dem Hauptquartier in Centraville von der Zerstörung des Lagers zu berichten. Selver macht sich auf den Weg um den Athesianern von der Versklavung ihres Volkes in den Lagern der Menschen zu berichten und zum Aufstand zu bewegen.

Im Roman „Die Überlieferung“ wird die englisch-indisch-stämmige Sati, als Beobachterin von der Erde in die Stadt Akan auf dem interstellaren Planeten Ekumen gesandt. Die Akaner haben vor kurzem die moderne Technologie anderer Welten angenommen, um ihren wirtschaftlichen und technischen Fortschritt voranzutreiben. Gleichzeitig werden die eigene Vergangenheit, die alte Schrift, alte Wörter, Überzeugungen und Denkweisen verboten. Als zentrale Aufgabe der Bürger wird propagiert: produzieren und konsumieren.

Als Sati ihre Forschungen auf das Land ausweitet bemerkt sie die religiösen und politischen Spannungen, die in der Bevölkerung zwischen der neuen Gesellschaftsform und den alten Traditionen des Geschichtenerzählens entstanden sind. Je länger Sati sich mit den alten religiösen Vorstellung Akans beschäftigt, desto mehr beginnt sie ihr eigenes Leben zu verstehen.

Ursula K. Le Guin erweist sich in ihren beiden Science-Fiction-Romanen als meisterhafte Erzählerin, wobei sie für den Roman „Das Wort für Welt ist Wald“ in ihrem Vorwort selbst auf die Rolle Amerikas im Vietnamkrieg als Beweggrund des Schreibens hinweist. Dabei kritisiert sie im Nachhinein die moralisierenden Aspekte der Geschichte für sie heute als unangenehm aber eben aus der damaligen Zeit entstanden.

Der zweite Roman „Die Überlieferung“ beleuchtet unterschiedliche Gesellschaftsmodelle mit deutlich mehr Distanz und ohne die unterschiedlichen Konflikte innerhalb der verschiedenen Systemen zu verleugnen oder einem nostalgischen Blick auf vergangene Zeiten das Wort zu sprechen. Dabei stehen eine differenzierte Darstellung und eine persönliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und religiösen Forderung im Mittelpunkt der Handlung.

Beide Romane entführen in entlegene Galaxien und wenden den Blick dafür umso tiefer auf unsere eigene Welt. Ein überaus empfehlenswerter und lesenswerter Sammelband, mit einer, für das Science-Fiction-Genre doch eher ungewohnten, gesellschaftskritische Dimension.

Ursula K. Le Guin, Grenzwelten. Zwei Romane: "Das Wort für Welt ist Wald" und "Die Überlieferung", übers. v. Karen Nölle [Orig. Titel: „The Word for World is Forest“ und „The Telling”], ab 16 Jahren
Frankfurt a. Main: Fischer Verlage 2022, 400 Seiten, 17,50 €, ISBN 978-3-596-70578-8

 

Weiterführende Links:
Fischer Verlage: Ursula K. Le Guin, Grenzwelten
Wikipedia: Ursula K. Le Guin

 

Andreas Markt-Huter, 22-06-2022

Bibliographie

AutorIn

Ursula K. Le Guin

Buchtitel

Grenzwelten. Zwei Romane: "Das Wort für Welt ist Wald" und "Die Überlieferung"

Originaltitel

The Word for World is Forest / The Telling

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Fischer Verlag

Übersetzung

Karen Nölle

Seitenzahl

400

Preis in EUR

17,50

ISBN

978-3-596-70578-8

Lesealter

Altersangabe Verlag

o.A.

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Ursula K. Le Guin (1929–2018) gilt als die Grande Dame der angloamerikanischen Science-Fiction Literatur. Sie wurde mit zahlreichen Literatur- und Genrepreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem National Book Award für ihr Lebenswerk.