„Die Straße wurde Wandelgasse genannt, weil man niemals genau wusste, wo sie sich befand. Manche Menschen behaupteten, sie wären von einer seltsamen leisen Melodie zu ihrem Eingang geführt worden. Andere meinten, um sie aufzuspüren, müsse man sich lediglich an die Ecke zwischen Glockenstraße und Backhausgasse stellen und darauf warten, dass der Wind dreht. Aber Ista Flit war vollkommen klar, dass keiner dieser Menschen, die Gasse je betreten hatte.“ (S. 7)
Dass ein Besuch in der Wandelgasse gefährlich sein kann, weiß die junge Ista Flit aus eigener Erfahrung, werden die Ungeheuer doch durch starke Magie, Nebel und Dunkelheit ganz besonders angezogen oder verschwinden Leute einfach so. Außerdem ist die ganze Gasse alles andere als leicht zu finden, doch kommt ihr dabei ihre ausgezeichnete Nase zugute, mit der sie den Geruch nach Rauch und Brackwasser wahrnehmen kann. Doch kann Ista auch noch auf andere außergewöhnliche Fähigkeiten zurückgreifen, als ihre gute Nase.
Den Eingang in eine verborgene Welt findet Ista am Ende der Wandelgasse, wo das Gasthaus „Zum Kreischenden Aal“ steht, das sich nur mit Hilfe von Magie öffnen lässt. In einem der Räume wartet der unheimliche Geschäftsmann Alexo Rokis, der einen neuen Auftrag für sie hat. Mit ihren außergewöhnlichen magischen Fähigkeiten gelingt es Ista ihre Gestalt zu ändern und unerkannt Raubaufträge für Rokis durchzuführen.
Alexo Rokis hat sie auf der Suche nach ihrem verschollenen Vater in Shelwich vor einem Angriff der grauenvollen Grilks, mit ihren scharfen Zähnen, zerrissenen Flügeln und ihrer Gier nach Magie, gerettet. Dabei hat er Ista eine Klarinette, die letzte Erinnerung an ihren Vater gestohlen. Um sie sich wieder zurückzuverdienen, muss sie zwanzig Aufträge für Rokis erledigen. Diesmal fordert er sie auf, sich in den Sohn der Gouverneurin zu verwandeln, um ein Teleskop für ihn zu stehlen. Bei ihrem Raubzug trifft Ista auf Nat, der ihr erzählt, dass seine Mutter, die Journalistin Priya Shah, glaubt, dass es jemanden gibt, der die Grilks kontrolliert.
Seit ihrem Zusammentreffen mit Alexo lebt Ista im „Austernfischer“ bei Padley und Gideon, die ihr mittlerweile ans Herz gewachsen sind. Von ihnen erfährt sie über eine vergangene Wahl, bei der Betrik Hettler, der Großvater der Gouverneurin, auf mysteriöse Weise zum Gouverneur gewählt worden war. Dabei hatte ein Dieb eine Rolle gespielt, der auf die berüchtigte Glasinsel geschickt worden war, aus deren Ruinen man das Heulen der Geister der alten Welt hören konnte. Kein vernünftiger Bootsmann würde heute noch die Überfahrt zur Insel wagen.
Von Padley erfährt sie, dass die Neuwahl, nach dem Tod des alten Gouverneurs, verschoben werden musste, weil Wicka Honeyball, eine ausgezeichnete Kandidatin, von den Grilks vor ihrem Haus erwischt. wurde und seither verschwunden ist. Jetzt stehen nur noch Betrika Hettler und Brintan Brook zu Wahl. Als dann plötzlich ihr Freund Padley verschwindet, weiß Ista, dass sie ihn retten und endlich dem Geheimnis dieser mysteriösen Stadt auf den Grund gehen muss.
Clare Harlow erzählt eine überaus spannende Geschichte mit atmosphärischer Dichte voller Magie und dunkler Geheimnisse. Dabei werden die jungen Leserinnen und Leser in eine geheimnisvolle Welt entführt, die von schrecklichen Wesen bedroht wird und deren wahre Hintergründe erst allmählich aus einem Nebel zu lüften beginnen.
Ein überaus lesenswertes und packendes Kinderbuch, das seine Leserinnen und Leser von Beginn weg zu fesseln und in seinen Bann zu ziehen versteht. Neben den zahlreichen außergewöhnlichen Charakteren überzeugt das Kinderbuch durch komplexe und verwobene Zusammenhänge, die sich erst nach und nach offenbaren.
Clare Harlow, Die Diebin der vielen Gesichter. Aus d. Reihe: Magic of Moon and Sea Bd. 1, übers. v. Sabrina Sandmann [Orig. Titel: Tidemagic. The Many Faces of Ista Flit], ab 10 Jahren
Hamburg: Schneiderbuch Verlag 2025, 288 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-505-15144-6
Weiterführender Link:
Schneiderbuch Verlag: Clare Harlow, Magic of Moon and Sea - Die Diebin der vielen Gesichter
Andreas Markt-Huter, 11-02-2025