Belletristik und Sachbücher

Andreas Renoldner, Müllmänner

h.schoenauer - 29.01.2016

Die wirklich guten Krimis sind literarisch gesehen einfach Romane und umgekehrt werden gute Romane offensichtlich aus Markt-Gründen oft als Krimis ausgegeben.

Ein Krimi-Hybrid der aufregenden Art ist Andreas Renoldners Roman „Müllmänner“. Durch den erzähltechnisch fein austarierten Trick, ein kaputtes Ich immer nur so viel Logisches erzählen zu lassen, wie es dem Leser auch logisch vorkommt, wird bewirkt, dass der Leser sich immer dichter an die Psyche des Helden herantastet und schließlich mit ihm einem „verbrecherisch guten Ende“ entgegen zittert.

Sabine Scholl, Nicht ganz dicht

h.schoenauer - 27.01.2016

Was wie ein Urologen-Befund klingt, ist in der Literatur eine Äußerung der mehrsprachigen Autorin Yoko Tawada. „Es kann für mehrsprachige Dichterinnen und Dichter ein Vorteil sein, wenn die Wände in ihrem Gehirn 'nicht ganz dicht' sind. Durch die undichte Wand sickert der Klang einer Sprache in eine andere hinein.“ (27)

Sabine Scholl streift mit ihren Analysen durch diese mehrsprachigen Literaturen und versetzt sich dabei in die wichtigsten Literatur-Driften und Metropolen. Lange gilt die Auseinandersetzung zwischen Ost und West als eine Konfrontationslinie des Kalten Krieges, der auch die Literatur nicht kalt lässt. Mittlerweile hat von Europa aus gesehen der Osten mehrere Bedeutungen, je nach Kriegslage können auch der Balkan oder die Ukraine gemeint sein. Immer ist davon auch die Literatur betroffen.

Dushan Wegner, Talking Points oder die Sprache der Macht

andreas.markt-huter - 25.01.2016

„Sie haben bestimmt schon mal gehört, wie ein Politiker sagte: »Wir müssen jetzt alle den Gürtel enger schnallen!« - Und natürlich verstanden sie sofort, dass »Sparmaßnahmen« anstehen. Doch irgendein Verdacht sagte Ihnen, dass wahrscheinlich diese Maßnahmen nicht den Politiker betreffen würde, sondern uns, die Bürger.“ (9)

„Talkingpoints“ sind Sprachtricks, mit denen Politiker versuchen, die Meinung der Bürger über sie und ihre Politik zu steuern. Dazu gehören starke Vereinfachungen von Themen ebenso wie „strategische Güte“ oder das „sich kümmern um alte Werte“. Ziel von Talkingpoints sind Effekte, die schlussendlich die Wähler dazu bewegen sollen, eine bestimmte Partei oder Person zu wählen.

Thomas Pynchon, Die Versteigerung von No. 49

h.schoenauer - 22.01.2016

Romane über die bibliothekarische Lebensphilosophie sind weit häufiger, als man landläufig glaubt. Wo immer Nachrichten verwaltet, ausgehoben und in einen neuen Zusammenhang gesetzt werden müssen, sind bibliothekarische Hände im Spiel.

So handelt auch Thomas Pynchons „Versteigerung von Nr. 49“ als Klassiker der postmodernen Literatur letztlich vom Treiben und Getrieben-Werden jener Menschen, die mit Nachrichten zu tun haben.

Andreas Brugger, Über das Fallen

h.schoenauer - 20.01.2016

Manche Themen entwickeln geradezu eine eigene Literatur-Gattung. Das Fallen etwa ist seinerzeit während der Belagerung Leningrads von Daniil Charms literarisch zu einer solchen Spitzfindigkeit entwickelt worden, dass man ihn selbst in der Belagerung noch extra im Gefängnis festgesetzt hat, weil sein dichterisches Treiben noch im Untergang als gefährlich gegolten hat.

Andreas Brugger greift den Kosmos Fallen auf, um neben 41 Gedichten vor allem ein „Fragment über das Leben und Sterben des polnischen Lyrikers Wladyslaw Szlengel im Warschauer Ghetto“ auf die Bühne zu bringen.

Albert Ostermaier, Lenz im Libanon

h.schoenauer - 18.01.2016

Lenz im Gebirg gilt in der Literatur als der Inbegriff eines Helden, den es aus sich selbst hinausgetrieben hat und der ohne Koordinaten im Gelände in Aufwallung und Auflösung herumirrt. Das Wahnsinns-Genie Georg Büchner hat mit der Erzählung „Lenz“ 1835 dem Schriftsteller-Kollegen Jakob Michael Reinhold Lenz ein Denkmal gesetzt.

In welches Ambiente müsste sich heute ein Schriftsteller begeben, will er in einen ähnlichen Ausnahmezustand gelangen? - Albert Ostermaier lässt seinen Lenz der Gegenwart in einen Libanon reisen, der in Flammen steht. Schon im Flugzeug packt ihn jener Schwindel, den einst den Helden im Gebirge gepackt hat. Als er in Beirut landet, stellt er lapidar fest: „Diese Stadt ist gefährlich wie ich.“ (12)

Lilian Loke, Gold in den Straßen

andreas.markt-huter - 15.01.2016

„Jeder lebt seine Befindlichkeiten, zu was anderem ist der Mensch gar nicht fähig.“ (303)

Lilian Loke gelingt das schier Unfassbare: als emotionsgeladener Leser entwickelt man plötzlich Mitleid mit einem Immobilien-Makler, dem das Leben mehr oder weniger selbst verschuldet zwischen den Fingern zerrinnt. Held dieses Romans vom „Gold in den Straßen“ ist der Herr Meyer, der nur ganz selten mit dem Vornamen Thomas angesprochen wird, weil er alle Freundinnen, Partner und Fans strategisch zu vergraulen weiß.

Andreas Edmüller, Die Legende von der christlichen Moral

andreas.markt-huter - 13.01.2016

„Worum geht es in diesem Buch? Ich möchte zeigen, dass es keinen vernünftige Grund gibt, dem Christentum Kompetenz in moralischen Fragen zuzuschreiben.“ (7)

Während heute nur mehr die wenigsten Menschen davon ausgehen, dass die Bibel brauchbare Aussagen über die physikalische Beschaffenheit unserer Welt und Natur zu bieten hat, sind viele davon überzeugt, dass die christlichen Glaubensinhalte und die christliche Moral eine zentrale Orientierung zu den Fragen von Moral und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu bieten haben. Der Philosoph Andreas Edmüller sieht das anders und zeigt mit viel Akribie, dass es so etwas wie eine „christliche Moral“ gar nicht gibt und dem Christentum in Fragen der Moral keine Kompetenz zukommt.

Dieter Lenzen, Geliebt

h.schoenauer - 11.01.2016

Die statische und wie eine Wurstware gut abgehangene Form der Liebe ist das „geliebt“, das wie „geselcht“ klingt.

Und tatsächlich haben die Figuren in Dieter Lenzens Erzählband „Geliebt“ das meiste im Liebeswesen schon hinter sich. Manche sortieren noch, andere überlegen, wie sie die Sache beenden könnten, die dritte Gruppe schaut sich selber beim Zuschauen zu.

Friedrich Hahn, Der Setzkasten oder Erwin und die halben Luftballons

h.schoenauer - 08.01.2016

Es müssen nicht immer für die Öffentlichkeit taugliche Heroen sein, die einen gewissen Lebensstil zur Schau tragen, die wahren Lebenskonzepte spielen sich meist ohne großen Tamtam auf kleinstem Raum mit wenig Personal ab.

Friedrich Hahn stellt anhand seines Protagonisten „Einer“ einen Lebensraum auf kleinstem Raum vor, der durchaus geeignet ist, als Mini-Trophäe in einem Setzkasten ausgestellt zu werden. Einer hat keinen Vornamen und keine Kindheit, er ist in allen Dingen ein unbeschriebenes Blatt und deshalb bestens als Partner für Gisela geeignet. Gisela hat eher zu viel erlebt, eine missglückte Schwangerschaft beispielsweise, ungelenken Umgang mit Männern und einen am Konsum orientierten Zugang zur Kunst.