Das Gilgamesch-Epos
„Der alles sah, bis an die Enden der Erde, / Der alles erfuhr, alles kennenlernte, / Der alle Geheimnisse durchschaute, / Die Decke der Weisheit, die alles, die alles verhüllt. / Verwahrtes sah er, Verdecktes enthüllte er, / Von der Zeit vor der Sturmflut brachte er Kunde.“ (S. 5)
Das erste große Epos der Weltliteratur erzählt die Geschichte rund um König Gilgamesch, den sagenhaften Herrscher der sumerischen Stadt Uruk in Mesopotamien. Es erzählt von seinen Heldentaten und seiner Suche nach dem ewigen Leben. Die fehlenden Teile des Originaltextes werden in der Übersetzung durch Punkte angedeutet. Größere ergänzende Textpassagen werden durch einen kursiv gesetzten Text kenntlich gemacht.
Die Bewohner der Stadt Uruk jammern über das despotische Verhalten des mächtigen und übermenschlich starken Königs Gilgamesch. Sie rufen Gott Anu und Göttin Aruru um Hilfe an. Aruru erschafft den Tiermenschen Engidu, um Gilgameschs zügelloses Verhalten in die Schranken zu weisen. Engidu lebt wie ein Tier unter Tieren, bis er von einer Frau in die Zivilisation geholt und nach Uruk gebracht wird. Dort kommt es zu einem Kampf zwischen den beiden ebenbürtigen Helden.
Nachdem Gilgamesch Engidu besiegt hat, werden sie Freunde und ziehen zur Erlangung ewigen Ruhms gegen den Riesen Chumbaba, den sie frevlerisch töten. Nach ihrer Rückkehr nach Uruk verhöhnt Gilgamesch die Göttin Ischtar, die aus Rache den zerstörischen Himmelsstier gegen ihn aussendet. Mit Engidus Hilfe gelingt es das gewaltige Tier zu töten, was die Rache Ischtars auf den Plan ruft. Zur Strafe beschließen die Götter Engidu sterben zu lassen, was Gilgamesch wiederum in eine tiefe Todesfurcht stürzt. Völlig verzweifelt macht sich Gilgamesch auf die Suche nach dem ewigen Leben.
Auf seinem langen Weg ans Ende der Welt, der ihn zu den Skorpionmenschen, in die Finsternis und zur göttlichen Schenkin Siduri führt, gelangt er schließlich zum unsterblichen mythischen Sintfluthelden Utnapischtim. Dieser legt Gilgamesch auf seiner Suche nach dem ewigen Leben eine Prüfung auf, die dieser aber nicht bestehen kann. Doch Utnapischtim zeigt Mitleid mit dem König und berichtet ihm, wie er zu einer verjüngenden Pflanze kommen kann.
„Wenn du dieses Kraut in deine Hände bekommst, so iss davon und du wirst leben.“ (S. 87)
Das Gilgamesch-Epos überrascht von Beginn an durch seine existenzielle Tiefe, die Hermann Ranke gekonnt in seiner Übersetzung zu vermitteln vermag. Im Mittelpunkt stehen zentrale philosophische Themen wie die Stellung des Menschen in der Natur, das richtige Verhalten, gerechte Herrschaft, die Angst vor dem Tod und der Sinn des Lebens. Alle Fragen werden schonungslos abgehandelt und weisen den Menschen den Weg zur persönlichen Lebensweisheit.
Eine überaus lesenswerte Literatur, welche die Zeiten umspannt und zutiefst menschliche Fragen aufwirft, die sich über die Jahrtausende nicht verändert haben, die dem Epos seine zeitlose poetische Kraft verleihen und zu Recht zu einem der großen Werke der Weltliteratur machen.
Das Gilgamesch-Epos. Übers. v. Herman Ranke, ab 16 Jahren
München: Anaconda Verlag 2024, 96 Seiten, 6,40 €, ISBN 978-3-7306-1377-1
Weiterführende Links:
Anaconda Verlag: Das Gilgamesch-Epos
Wikipedia: Gilgamesch
Wikipedia: Hermann Ranke
Andreas Markt-Huter, 27-06-2024