drago glamuzina, der zweite hauptsatz der thermodynamikUnterliegt die berüchtigte heiße Luft beim Diskutieren dem sogenannten thermodynamischen Gesetz? Dieser zweite Hauptsatz sagt im Volksmund ja nicht viel mehr, als dass die heiße Luft beim Reden immer gleich warm bleibt.

Drago Glamuzina nimmt für seinen Roman über eine kroatische Intellektuellenszene einen sehr aufgeblasenen Titel, weil es zum Wesen dieser Spezies gehört, aufgeblasen zu reden. Gleichzeitig dient das Zitieren des Wärmegesetzes als sogenannte Hirnschranke gegen allzu ungebildete Lektüre. Wer sich also auf diesen Roman einlässt, kann sich als halbwegs intellektuell fühlen, zumal sich der Titel mit einer KI recht schnell dechiffrieren lässt.

clemens schittko, alles gutLiteratur spielt ähnlich wie Mathematik auf verschiedenen Ebenen, die über Ableitungen und Hyperlinks miteinander in Verbindung stehen. In der einfachsten Literaturform gibt etwas vor, ein Sachverhalt zu sein, der mit Worten in literarische Wirklichkeit versetzt werden kann.

Für einen Schriftsteller ist diese einfache Welt bereits eine Hinterwelt, denn alles, was er erlebt, ist Teil des Literaturbetriebs, solange er sich darin als Schriftsteller gebärdet.

Clemens Schittko kümmert sich mit seinem Werkstattbuch „alles gut“ um diesen Untergrund, dem er ein Thesengedicht widmet: „das Hauptproblem des Untergrunds // da ist diese Ablehnung, / die man dem sogenannten / Mainstream entgegenbringt / und für die man gleichzeitig / von diesem Mainstream / anerkannt werden möchte“ (139)

ilse krüger, das rotzmenschUmgangssprachlich gilt schon die Bezeichnung „Das Mensch“ als ziemlich abwertend, die Steigerung in „Das Rotzmensch“ kann als Inbegriff für Verachtung betrachtet werden.

Ilse Krüger stellt ihre autobiographische Darstellung vom Heranwachsen in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter den alles vernichtenden Fluch „Rotzmensch“. Diesen Ausdruck verwendet die Oma der Heldin bei jeder Gelegenheit, um das heranwachsende Kind zu demütigen. Von diesem wird sie mit der vielsagenden Abkürzung „O“ bezeichnet, was vermutlich eher auf Oasch hindeutet, als auf die Marquise von O., obwohl im Roman alle ziemlich belesen sind und sich fallweise gepflegt ausdrücken.

edgar hättich, mondsichelbootNichts ist so groß wie ein Wort, das aus einem weiten Bild heraus verdichtet worden ist. Edgar Hättich nimmt aus den Nächten eines langen Lebens jenen Augenblick ins Auge, wenn für einen kurzen Augenblick der Mond andeutet, dass er seine Überfahrt durch die Nacht beginnen wird. „Mondsichelboot“: Für das lyrische Ich wird es Zeit, die Gedichte an jenen Fensterflügeln anzulehnen, die die Kühle regeln während des Schlafs.

„im zeichen untergehenden lichts überm kogel / erwacht meine lebenslust / im blau die goldene sichel / wird bald dein boot / gondoliere mond / lass mich einsteigen / führ mich hinaus ins himmelmeer“ (35) Diese Gelassenheit ist der Auswuchs einer langen Gedankenkette, die sich vielleicht schon über Jahrzehnte hinzieht. In die poetische Schnur sind ab ab und zu größere Fügungen eingelagert, die wie Bojen die Orientierung erleichtern, wenn das Mondsichelboot unterwegs ist.

li mollet_späterWährend politische Entscheidungsfragen überall auf der Welt mit ja oder nein beantwortet werden, sagt man in Österreich auf eine Entscheidungsfrage oft: „später“. Bereits Kindern wird dieses Wort beigebracht, wenn sie um etwas betteln. Ein Leben lang beherrscht dieses Wort die Entscheidungsfindung, und selbst wenn in hohem Alter jemand um Sterbeassistenz bittet, wird er auf später verwiesen.

Li Mollet hat mit ihrem Besinnungsbuch über diese Zeitangabe natürlich anderes im Sinn. Bei ihr geht es um „Zeitinstallationen“, die womöglich nicht in der Gegenwart dechiffriert werden können, sondern einen späteren Zeitpunkt der Realisation ins Auge fassen.

jonathan perry, auf der flucht„Lebt mit Frau und Kind in St. Pölten.“ – Diese zu einer Inschrift verdichtete Bio-Zeile beschreibt auch gleich jenen Kosmos, in dem der Gedichtband „Auf der Flucht“ spielt.

Jonathan Perry hat seine Gedichte auf der Drehbank eines St. Pöltener Kammerstückes eingespannt, die einzelnen Texte werden in Drehung versetzt und benehmen sich wie auf der Flucht. Das heißt, sie sind selbst noch nicht am Ziel angekommen, gleichzeitig verändern sie jedoch den Aggregatszustand und werden „flüchtig“, wie man das über Stoffe sagt, die allmählich aus sich selbst verschwinden.

caroline wahl, 22 bahnenManchmal wird der Literatur ein Programm übergestülpt, das ihre Kundschaft zuerst abarbeiten muss, ehe sie sich dem eigentlichen Text zuwenden darf. So sind es oft Literaturpreise, die vorerst in Marketing-Manier den Text zuschütten, ehe er sich verspätet der Leserschaft erschließt.

Gerne gesehen ist Literatur auch als Prüfungsstoff, wenn in sadistischer Anwandlung Prüflinge gequält und für die Literatur verloren gemacht werden. Eine Radikal-Methode, ein unwissendes Publikum mit Literatur zu beträufeln, besteht schließlich in diversen Kommunal-Aktionen, wenn etwa die Bewohner einer Kleinstadt mit einem Gratis-Roman beglückt werden. Auch hier steht das Programm der Stadt vorerst über dem literarischen Text, der als solcher erst freigeschaufelt werden muss.

stanislav struhar, das gewicht des schattensJe größer die Heimat, umso verlorener bewegt sich darin der Heimatlose. Stanislav Struhar versetzt seine Helden in den Modus von Schatten, alles ist seltsam leicht und dennoch bunt, die Konturen der Handlungen gleichen Erinnerungen und fransen zwischendurch aus, die Stabilität der Körper zuckt fahl über jene Oberflächen, auf denen sie agieren. Bald kommt einem die „Höhlenparabel“ von Platon in den Sinn, worin auf der Suche nach Wahrheit alles zu Schatten wird.

Der Roman startet mit der luziden Fröhlichkeit eines Airbnb-Wochenendes, Elias fliegt von Wien nach Lissabon, um die Wohnung seiner verstorbenen Großeltern zu übernehmen. Eine intime Erkundung einer fremden Stadt beginnt man am besten im Treppenhaus des Hauses für die Nacht, Elias lässt sich vom kühlen Turm des Treppenschachtes in die Höhe reißen zur Wohnung seiner Vorfahren. Ein gewisser Diego weiht ihn in die wichtigsten Handgriffe für Lissabon ein, auf der Kommode steht ein Bild der Großeltern und überwacht das Heimischwerden.

thomas podhostnik, der spatzenkaiserFür gewöhnlich läuft das Leben so dahin, ehe dann vielleicht ein Spatz vom Himmel fällt, um dem Ganzen eine Überschrift zu geben.

Thomas Podhostnik lässt seinen Helden Kaj vorerst einmal drei Seiten lang durch die Wüste streunen, ehe der sprichwörtliche Vogel vom Himmel fällt und dem Roman seinen Titel gibt: „Der Spatzenkaiser“. Dieser Vorfall ist mit einer Binsenweisheit verknüpft. „Auch ein Vogel musste sterben, es war  nur konsequent, wenn es in der Luft geschah.“ (6)

All dies geht dem Helden Kaj durch den Kopf, als er sich auf den Weg in ein Roadmovie macht, dabei aber nicht vom Fleck kommt. Für ein Roadmovie braucht es einen Fluchtgrund, geographische Ziellosigkeit, einen täglich neu zu erweckenden Move und eine Sehnsucht, der man vergeblich nachjagt.

joachim hammer, glückes schiefe türmeWerkzeuge lassen sich in zwei Richtungen hin einsetzen, einmal, um einen bestimmten Sachverhalt zu erkunden, zu korrigieren oder zu optimieren, und im umgekehrten Sinn, indem man schaut, wofür sich dieses Werkzeug zusätzlich verwenden ließe.

Joachim Gunter Hammer hat über Jahrzehnte hinweg lyrisches Werkzeug erfunden, mit dem er vor allem phänomenologische, botanische oder molekular-physikalische Vorgänge erkundet. Als „Schweizermesser“ dieser lyrischen Erforschungen dienen ihm oft 17- und 19-Silbler. Diese an alte fernöstliche Dichtkunst anknüpfende Schärfe im Umgang mit Silben und Wortmaterial bewährt sich auch im europäischen Gebrauch, wenn Vorgänge aus der politischen Schwarzweißmalerei plötzlich mit einem über-sensiblen Besteck zerlegt und einem neuen Sinn zugeführt werden. In einer schlagwortartigen Einschätzung der Lyrik von Joachim Gunter Hammer könnte man sagen, seine Gedichte laufen ähnlich quer durch die Welt wie das heiße Messer durch die Butter.