Der Überzählige: Christine Nöstlinger und Tirol
Im Juni 2018 verstarb die große österreichische Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger. Kurz vor ihrem Tod sagte sie in einem Interview, dass sie aufgehört habe, Kinderbücher zu schreiben. Der Grund sei ihr fortgeschrittenes Alter und das fehlende Verständnis für die Lebenswelt der heute lebenden jungen Menschen: "Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen?"
Ihre eigene Kindheit sei bereits eine historische, sagte die vielfach ausgezeichnete Autorin in diesem Interview. Ebendiese Kindheit ist nun Thema eines Buches der Nöstlinger, das der G&G Kinderbuchverlag in der Reihe Nilpferd veröffentlicht hat. „Der Überzählige“ heißt das posthum erschienene, autobiografische Werk, das von der Kinderlandverschickung des Sommers 1945 handelt. Auch die damals 8-jährige Nöstlinger wurde zum Aufpäppeln zu Bauern aufs Land geschickt.
Christine Nöstlinger und Tirol
Im Zuge der Edition stieß der G&G Verlag auf ein vor Jahren gegebenes Interview Christine Nöstlingers, in dem sie sich in ihrem unvergleichlichen Tonfall zur Kinderlandverschickung äußerte. Darin stellte sie überraschend einen Tirol-Bezug her.
Einmal hat mich meine Mutter auf die sogenannte „Kinderlandverschickung“ geschickt. Da waren so Züge voll Kinder, die zu irgendwelchen Bauern verfrachtet wurden, damit sie da mehr zum Essen kriegen. Das war nach Kriegsende. Ich hab da sehr gelitten. Ich kam nach Tirol. Ich hab den Bauern nicht verstanden, ich hab die Bäuerin nicht verstanden, das Essen hat mir nicht geschmeckt, die Milch hat eine Haut gehabt, in der Früh haben sie so eine komische Polenta gegessen, die haben sie in den Kaffee hineingebröckelt … also ich war kreuzunglücklich.
Wo genau in Tirol Christine Nöstlinger kreuzunglücklich war und in der Folge krank wurde, sodass sie wieder zurück nach Wien fahren durfte, lässt sich wohl nicht mehr eruieren. Jedenfalls sind ihre Erfahrungen und Erinnerungen an Tirol in ihr letztes Buch eingeflossen.
„Der Überzählige“ ist eine berührende Geschichte von der Einsamkeit und dem Verlorensein, die atmosphärisch dichten Bilder von Sophie Schmid führen mit Sinn für Details die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll vor Augen. Das letzte Buch Christine Nöstlingers ist ein bibliophiler Schatz, der in keiner Schulbibliothek fehlen sollte. Ein Buch, das auch den smartphoneverliebten jungen Menschen von heute empfohlen sei.
Der Überzählige Autorin: Christine Nöstlinger Illustratorin: Sophie Schmid G&G Verlag, € 19,95 ISBN: 978-3-7074-5232-7 Seitenanzahl: 40 Ab 5 Jahren Quelle des Zitats: Kindheit Österreich. 24 bedeutende Persönlichkeiten im Gespräch mit Kindern. edition innsalz, 2004