Ali Smith, Antigone
„Jetzt richtete sich die alte Krähe ganz auf. Ihre Aufmerksamkeit war geweckt. Antigone und Ismene! Die kleinen Prinzessinnen! Hier, unter ihrem Nest, war alles, was von König Ödipus´ Familie noch übrig war, von der alten menschlichen Königsfamilie. Prinzessin Antigone als, die sich so rührend um Ödipus gekümmert hatte, den blinden Mann. Den Mann, der früher König gewesen war.“ (S. 19 f)
Die klassische Tragödie „Antigone“ des griechischen Dichters Sophokles mit ihrem Widerstreit zwischen Gesetz und Gewissen hat über die Jahrhunderte hinweg die Menschen berührt und über ihre eigene Wahl in diesem Konflikt reflektieren lassen. Ali Smith verarbeitet das Thema in ihrem Kinderbuch für ein junges Publikum.
Zunächst erleben die jungen Leserinnen und Leser die Vorgeschichte zum Drama aus der Sicht eines Raben, der die schrecklichen Folgen des Krieges zwischen den beiden Brüdern der Antigone aus der Vogelperspektive miterleben lässt. Von einem Baum belauscht der Rabe die zwölfjährige Antigone und ihrer ältere Schwester Ismene in ihrem Gespräch über die jüngsten schrecklichen Ereignisse. Ihre Brüder Eteokles und Polyneikes haben sich bekriegt und sind im Kampf gefallen. Kreon, ihr Onkel und Nachfolger als König in Theben, habe Eteokles zum Helden erklärt, der in allen Ehren bestattet werden solle. Polyneikes hingegen solle als Verräter betrachtet werden, den niemand begraben dürfe, damit er in der Unterwelt nicht willkommen geheißen werde.
„Und sollte jemand versuchen, ihn zu beerdigen, dann würde dieser Jemand in der Stadt zu Tode gesteinigt werden.“ (S. 20)
Antigone fordert Ismene auf ihren edlen Charakter zu zeigen und Polyneikes zu bestatten. Ismene lehnt das Ansinnen ab, aus Angst und dem König, der Politik und dem Gesetz Widerstand zu leisten. Antigone beschließt ihren Plan alleine durchzuführen.
„Sterben muss ich sowieso“, sagte Antigone … (S. 23)
Antigone streichelt einen jungen Welpen, bevor sie sich an die Tat macht. Der Rabe fliegt zu dem jungen Hund und erzählt ihm die Vorgeschichte zu den tragischen Ereignissen. Er berichtet von Antigones Vater König Ödipus, seinen Heldentaten, dem Mord an seinem Vater und der Heirat seiner eigenen Mutter. Aber auch vom Versprechen der beiden Brüder Eteokles und Polyneikes sich die Königsherrschaft zu teilen. Weil Eteokles sein Versprechen aber gebrochen hat, ist es zum Krieg und zum Tod der beiden gekommen.
Als Antigone das Bestattungsritual an ihrem toten Bruder Polyneikes vollzieht, wird sie von einem Wächter beobachtet und meldet es König Kreon. Vom König zur Rechenschaft gezogen, gibt Antigone ihrer Tat freimütig zu und lässt dem tragischen Schicksal ihren Lauf.
Ali Smith interpretiert das berühmte antike griechische Drama „Antigone“ von Sophokles und bringt auf berührende und bewegende Weise die klassische Tragödie einem jungen Publikum nahe. Die dramatische Geschichte des Kinderbuchs regt zum Nachdenken über Recht und Gerechtigkeit sowie richtiges und falsches Verhalten an und wirft die Frage über Zivilcourage auf und wie weit Menschen für ihre eigene Überzeugung gehen sollen.
Ein überaus lesenswertes und anregendes Kinderbuch, das sowohl einen klassischen antiken Stoff zu vermitteln als auch zum Nachdenken und Diskutieren im schulischen Unterricht anzuregen vermag.
Ali Smith, Antigone. Ill. v. Laura Paoletti, übers. v. Cornelia Künne [Orig. Titel: The Story of Antigone], ab 10 Jahren
Zürich: Atlantis Verlag 2023, 112 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-7152-3012-2
Weiterführende Links:
Atlantis Verlag: Ali Smith, Antigone
Wikipedia: Ali Smith
Homepage: Laura Paoletti (ital.)
Andreas Markt-Huter, 07-11-2023