Buch-CoverEin guter Roman steht und fällt mit dem ersten Satz. Eva Menasses Roman "Vienna" ist daher ex kathedra gesprochen ein guter Roman, denn der Anfangssatz wird den Lesern noch in Erinnerung sein, da mag der Roman schon längst auf der Halde der Antiquariate liegen. "Mein Vater war eine Sturzgeburt." (9) Wuff, nach so einem Satz gibt es nur noch eines: Weiterlesen!

Da raunzen sich auf vierhundert Seiten Figuren durch den Kosmos und schaffen durch Sprachstil, Ironie und perverses Abschweifen vom gerade ausgegebenen Thema jenen Kosmos, der sich durchaus Vienna nennen lässt. Der international gehaltene Namen dieser verrückten Stadt Wien deutet darauf hin, dass die Figuren auch eine Außensicht auf die Stadt haben, wenn auch nicht freiwillig.

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Hangover ist jener Zustand, den man in den Alpen akademisch mit Spätfetzen oder Post-Sud bezeichnet. Der Hangover Square ist also ein Bermuda-Dreieck des Alkohols, worin Helden schon zu Lebzeiten immerwährend versickern können.

Von Patrick Hamilton wird daher in der Literaturgeschichte mit Süffisanz erzählt, dass er nach einem Autounfall für das Leben entstellt und die Literatur ideal eingestellt gewesen ist. Als krönender Abschluss solcher Dichterbiographien gilt dabei ein Tod infolge von Leberzirrhose.

Buch-CoverManchmal ist der Beginn einer Geschichte so unglaublich, dass selbst die Figuren der Geschichte darüber den Kopf schütteln und sich fragen, ob es so etwas in der Literatur geben kann.

Im Roman von den fabelhaften Strudelbakers fährt ein Onkel des Protagonisten Wolfy als Toter mit der Straßenbahn durch Wien, es ist genau 1937 und ein Samstagabend. Die Reise des Toten ist symptomatisch für die Geschichte des Kontinents am Vorabend der Judenvernichtung durch die Nazis. Die Verwandten von Onkel Kalmann flüchten von Wien nach London und gelten dort als "Flichtlinge", dieser spöttische Ausdruck sagt es genau, was sie erwartet: Unwillkommenheit! Man tut zwar verbal sehr human, in Wirklichkeit aber ist hier niemand willkommen.

Buch-CoverIn den vergangenen Jahrzehnten gab es unterschiedlichste Veröffentlichungen und Druckwerke über das Außerfern. Die Herausgabe dieser Bücher liegt einerseits schon sehr weit zurück, andererseits befassten sie sich mit Teilaspekten des Bezirkes Reutte oder das Außerfern war oft als Teil des Tiroler Oberlandes angeführt.

So wurden immer wieder von schulischer Seite Anfragen an den Bezirksschulrat gestellt, ob es nicht aktualisierte Unterlagen über die Gemeinden gäbe bzw. ob eine Neuauflage der Bezirkskarte nicht ins Auge gefasst werden könnte.

Buch-CoverDiese schleichenden Schicksalsschläge sind die heftigsten! Scheinbar können sich die Figuren frei bewegen, aber letzten Endes sitzen sie in ihren Käfigen wie in Gummizellen, und zwischendurch tut es nicht einmal weh.

Luise Maria Schöpf stellt ihrem Roman einen lakonischen Kommentar über die Freiheit voran. "Der Mensch muss sich den Gesetzen beugen, den Normen der Gesellschaft und der sozialen Struktur. Diese Gitterstäbe sind weich, biegsam, um durchzuschlüpfen, doch was bringt's? Der Mensch gerät mit dem Gesetz oder mit seiner Umwelt in Konflikt." Ha, und in diesem gigantischen Hamsterrad treten die Figuren nun zum Abstrampeln ihrer Biographien an.

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Bei diesem Familienroman liegen die Erzählscheiben chronologisch disparat ausgebreitet auf wie alte Schützenscheiben, die jemand ungeordnet abgestellt hat.

Günther Loewit nennt seinen Roman eine Recherche, die Nachfahren suchen die Vorfahren, die Zeitgenossen die Familienmitglieder und alle versuchen, in ihrer Zeit zu überleben, was ja fürs erste Unsterblichkeit bedeutet.

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Familienromane haben es so an sich, dass sie über alle Erzählufer treten und dann schwer in der Hand liegen.

Fontanelle ist so ein gewichtsschwerer und dennoch luftiger Familienroman und hat etwas von den russischen Realisten an sich. Das ist vielleicht auch notwendig, um die Wurzeln des israelischen Joffe-Clans freilegen zu können, denn die Joffes sind aus Russland nach Israel eingewandert und manchmal ziehen sie sich mit ihren Erinnerungen eben an ihre Wurzeln zurück.

Buch-CoverHa, das muss man sich plastisch vorstellen: In der Neuen Galerie am Landesmuseum Johanneum in Graz hält 2003 vor erlauchtem Kunstpublikum Jean Clair einen Vortrag über den großen Ekel, und eine der Hauptthesen dabei lautet: Scheiße ist für das Kunstwerk schwer formbar, weil sie ständig ins Amorphe zerfällt!

Schade, dass wir vom erlauchten Publikum nichts wissen, aber der Vortrag ist sehr edel, trotz seiner beschissenen Materie. In der Ästhetik des Sterkoralen wird wie in der Philosophie üblich auf die griechischen Urformen zurückgegriffen, wonach Parmenides behauptet, dass es für Haar und Dreck keine Idee gebe. In Dantes Inferno gibt es die schöne Stelle:

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Wir gingen. - Was wie ein Übungssatz aus einem Sprachbuch klingt, ist die Quintessenz einer ganzen Epoche.

Genötigt, gedemütigt, eingenebelt und gezüchtigt gehen während der sogenannten Option ab 1939 ganze Heerscharen von Südtirolern außer Landes, und das ganze Spektakel ist im ersten Schrecken in der Erinnerung zur scheinbar lapidaren Erkenntnis verklumpt "wir gingen".

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Es gibt wohl kaum einen historischen Zeitraum der öfter und genauer erforscht worden wäre als die Zeit des Nationalsozialismus.

Ist das Thema bereits ausgereizt und die Zeit gekommen, endgültig einen Schlussstrich unter das ?kurze Intermezzo des Nationalsozialismus in Österreich? zu setzen? Dagegen spricht, dass das Argument von "Österreich, als erstem Opfer Hitler-Deutschlands" häufig immer noch dazu dient, das Verhalten von Österreicherinnen und Österreichern während der NS-Zeit zu verharmlosen. Und auch das offizielle Österreich benötigte ein halbes Jahrhundert, um eine Mitverantwortung für Verbrechen während dieser Zeit einzugestehen.