daniel suckert, eigentlichEine der größten Errungenschaften der Erzählkultur ist die sogenannte romantische Ironie. Dabei tritt eine Figur aus ihrer Rolle heraus wie aus einem Kostüm und reflektiert über Fug und Unfug des eben Gesagten. Paradebeispiel dafür ist der gestiefelte Kater, der ein Stück gleichen Namens während der Aufführung kommentiert.

Eine ähnliche Ironie, wenn auch auf Basis des Alltagsgrusels, wendet Daniel Suckert in seinem Roman „Eigentlich“ an, worin es vordergründig um die Substanz des Alltags-Trashs geht.

stefan soder, simonhofJeder, der hinter der Lärmschutzmauer durch Tirol rast und einen Blick über die Sichtkante riskiert, fragt sich beklommen, wie hat dieses Land nur so entgleisen können?

Stefan Soder erzählt in seinem Roman „Simonhof“ kurz und glaubwürdig, wie das Land aus der Armut heraus in den Größenwahn explodiert ist und sich jetzt was einfallen lassen muss, will es die Zukunft nicht wieder in Armut erleben. In Form von alpinen Buddenbrooks kommen vier Generationen ins Spiel, die nach altem Alm-Adel vom einem Simon angeführt werden. Hier könnte der Untertitel Aufstieg und Einbremsen einer Familie passen.

burkard hofmann, und gott schuf die angst„Wenn es einen wesentlichen Unterschied zu den Therapien in Hamburg gibt, dann dieses Riesenmaß an Präsenz des Glaubens in den Sitzungen. Ständig verwiesen die Patienten auf eine Stelle im Koran, in den Hadithen oder der Tradition.“ (S. 125)

Der Hamburger Psychotherapeut Burkhard Hofmann behandelt seit Jahren Patienten am arabischen Golf. Mit dem zunehmenden Reichtum der Mittelschicht durch den Ölhandel ergibt sich ein psychisches Spannungsfeld zwischen der westlichen und traditionellen Lebensweise, mit ihren althergebrachten Familienstrukturen und religiösen Bindungen.

ernest van der kwast, die eismacherAuf eine unsichtbar lustvolle Art ist jeden Sommer Europa mit einer fruchtigen Eisschicht überzogen. Wie selbstverständlich wird überall Eis ausgerufen und erotisch verschleckt, dabei kommt das Spitzeneis aus einer Spezialisten-Familie, die vom Cadore aus den Dolomiten heraus die Welt erobert hat.

Ernest van der Kwast lässt über mehrere Generationen hinweg eine Eismacher Familie auftreten, er veredelt ihr Tun aber, indem die Geschichte von einem Eis-Aussteiger erzählt wird. Guiseppe soll wie alle anderen der Sippschaft in die Eismacherei einsteigen, aber er wird Verleger und kreiert Lyrik wie eine Eisspezialität.

ron kolm the unbearablesWie bei einer Band tritt das künstlerische Individuum zurück und verneigt sich vor dem Band-Namen: The Unbearables.

Die Unausstehlichen sind ein loser Zusammenschluss von New Yorker Avantgardekünstlern, die den Blick weit vorausgerichtet, das Auge tief eingedrückt und das Gehör in den Boden versenkt haben. So erinnern die Unbearables an verschiedene urbanisierte Tierarten, die den Lebenskampf zelebrieren und zu erstaunlicher Höhe emporschrauben.

Franz schuh, fortunaOft hilft ein Piktogramm, damit man sich etwas Abstraktes vorstellen kann. Im Falle der Fortuna steht eine Frau mit dem Rücken zum Zuschauer an einer laternenpfahlähnlichen blauen Säule und ist mit dem rechten Träger des Badeanzugs an einen Strich aus Sommer angekettet.

Franz Schuh erzählt ähnlich wie das Cover auf seinem „Magazin des Glücks“, überschaubar, reduziert, weiträumig und logisch. Man liest die längste Zeit und merkt gar nicht, dass man schweres philosophisches Gelände bewältigt hat. Seine Gedankengänge führt er oft als Unterflurtrasse durch seine eigene Textlandschaft, die beschwingt wie ein Erlebnisroman über den Fährnissen des Erzählers angelegt sind.

gerald pusch, schwarzer schneeWegen der schwarzen Milch des Paul Celan durfte das Wort „schwarz“ in der Literatur eine Zeitlang nur im Zusammenhang mit dem Holocaust verwendet werden. Ein paar Generationen später darf man jetzt wieder schwarzer Schnee sagen, wenn der Schnee schwarz ist.

Gerald Pusch erzählt von einem Mathematikstudenten in Linz, der während des Wintersemesters in ein schwarzes Loch fällt und nicht mehr herauskommt. Dabei beginnt der Roman wie eine österreichische Idylle, der Ich-Erzähler kommt nach ein paar Schaltvorgängen im Hirn aus dem nächtlichen Traummodus heraus und begibt sich zur Couch, wo sich eine nette Sitzmulde gebildet hat. Heute ist ein guter Tag, denn der Lieblingssender wird bis zu zwölf Stunden am Stück Schirennen übertragen.

wolfgang pollanz, hasta la vista, babyEs gibt so messerscharfe Jahre, die eine Biographie in vorher und nachher trennen. Für die Jahrgänge der 1950er Jahre gibt es um 1970 herum diesen Einschnitt, wo der Hippie-Boom vorbei und der Kampf gegen den Vietnamkrieg aufgenommen ist. Als markanter Roman über diese Zeit gilt Peter Handkes „Der kurze Brief zum langen Abschied“. Darin fährt der Held einsam und abseits aller Weltgeschehnisse durch Amerika, um am Schluss seinem Bruder beim Holzfällen zuzuschauen.

Wolfgang Pollanz, Jahrgang 1954, schickt seinen Helden Arno Weissenegger in ähnlicher Mission durch Kalifornien. Dieser ist Bodybuilder und Steirer und versucht eine Weltkarriere, für die durchaus Schwarzenegger Vorbild ist, obwohl im Vorspann ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es mit niemandem eine Ähnlichkeit gibt, höchstens in einem Paralleluniversum.

gegen den ballEin guter Roman ist wie ein Fußballspiel, Figuren rennen mehr oder weniger koordiniert einem Thema nach, Gedankengänge werden abgeblockt, plötzlich tun sich Alternativen auf, und zwischendurch gibt es starke Emotionen, wenn sich jemand verletzt hat oder gar sein Ziel erreicht, indem er das berühmte Goal macht.

Längst gilt Fußball als Kultureinrichtung wie die Oper oder das Literaturhaus, auf die Spitze getrieben wird dieser Respekt vor dem Fußball, wenn sogenannte Nationalmannschaften aus Dichtern im Rahmen eines Kulturfußballfestes gegen einander antreten mit der Absicht, niemanden außer den Ball zu treffen.

Oleg jurjew, unbekannte briefeNirgendwo ist der Eisberg der Wahrnehmung so groß wie in der russischen Literatur. Wir sehen ab und zu die Spitzen von Dostojewski und Tolstoi aus einem Regal aufragen, aber darunter verbirgt sich ein literarischer Kontinent, der flächenmäßig mindestens so groß ist wie ganz Russland. Manche behaupten, an wehmütigen Tagen bestünde Russland zur Gänze aus Literatur.

Oleg Jurjew stößt ironisch hinein in diese Masse ungehobener Schätze, indem er vorgibt, drei unbekannte Briefkonvolute seien ihm zugespielt worden. Diese drei Briefachsen tauchen tief hinunter in die Literaturgeschichte, die mit diesen fiktionalen Briefen neu gedeutet oder überhaupt erst zur Existenz gebracht wird.