Buch-CoverIm Zeitalter durchgehender Terrorangst darf man nirgendwo auf der Welt einen Koffer abstellen, ohne dass dieser nicht sofort gesprengt würde.

Diese Erfahrung macht auch der Lebenskünstler Fedele Conte Mamai - wörtlich übersetzt der treue Graf Niemals (S. 78) -, als er nach Jahrzehnten wieder in das Po-Delta zurückkehrt. Irgendwie verliert er den Koffer aus den Augen und ist schon dran. Carabinieri wollen alles wissen, wer warum weshalb, und genau auf diese Fragen weiß der treue Graf keine Antwort.

Buch-CoverDieses Elementar-Buch ist von A bis Z aufregend. Das fängt schon damit an, dass ein Schriftsteller für Randlagen, wie Raoul Schrott es in seinen Romanen und Editionen ist, sich mit einem Dichter der Randlage Südtirol beschäftigt, aufregend ist in der Folge, wie man aus einem mehrbändigen Gesamtwerk einen handfesten griffigen Reader komponiert, und die Frage nach der Unsterblichkeit von Biographien und Werken ist schließlich eine der elementarsten der Literatur.

Raoul Schrott geht die Sache chronologisch an, denn die Zeit ist das einzig Verlässliche bei der Neuherausgabe von Literatur. Unter dem Entstehungsjahr versammelt Raoul Schrott nach subjektivem Augenmaß jeweils die wichtigsten Texte des Kaserschen Produktionsjahrs. Als Präambel gibt es einen kleinen Datenblock, sodann laufen die Texte ab, ganz egal ob Prosa, Brief oder Gedicht. Das germanistische Schema der Gewaltenteilung in der Fiktion ist also aufgegeben zugunsten der biographischen Wertung. So lässt sich oft gut verstehen, wie ein Gedicht aus einem Brief entstanden ist, oder wie ein Briefempfänger höchst persönlich zu einem frischen Gedicht gekommen ist.

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Interessante Biographien haben entweder einen Lebensinhalt, der den Leser vom Sessel haut, oder eine Erzählweise, die jedes Publikum mit offenem Mund in den Bann zieht.

In Paul Floras Geburtstagsbiographie, der Jubilar wird 85, kommen beide Elemente einer gelungenen Biographie zum Tragen. Felizitas von Schönborn hat aus Gesprächen, Aufsätzen und Notizen einen Abenteuerroman eines Künstlers zusammengestellt, und Paul Flora, der Meister der verschmitzten Untertreibung, hat große Sachen bescheiden, und kleine Anekdoten süffisant unterdimensioniert zum Besten gegeben.

Buch-CoverVom Umschlag blinzelt das Rote Haus aus Dornbirn herunter, eine kleine Referenz an den roten Planeten, wie der Mars wegen seiner Feurigkeit und Lust auf ferne Emotionen genannt wird.

In Walter Puchers Novelle „Marsgeografie“ geht es um Sehnsucht, Wissenschaft, Herzausschüttung und die Vermessung der scheinbar unermessbaren Gefühlsgeographie. Schmachtender Held ist der italienische Astronom Giovanni Virginio Schiaparelli (1835-1910), der als der Entdecker der Marskanäle gilt.

Buch-CoverNicht umsonst hat diese wundersame Biographie einer literarischen Nichterscheinung der Mosaikkünstler Hans Pfefferle illustriert. Das einzelne Mosaiksteinchen nämlich ist ein Augenblick aus Stein, völlig unscheinbar und alltäglich.

Gewöhnliche Alltagskörner sammelt auch Elias Schneitter für seine Augenblicke zusammen, die dann insgesamt so etwas wie eine Biographie ergeben. Der im Titel zitierte Schriftsteller Giorgio Voghera gilt als der große verschollene Schriftsteller Triests, der so gut wie seine ganze Lebensenergie damit zugebracht hat, seine eigene Biographie hinter seinem großen Roman Das Geheimnis zu verstecken.

Buch-CoverKann man das Schicksal der Roma etwa gar mit dem bürgerlichen Erzählmittel der Buddenbrooks darstellen? Colum McCann scheint tatsächlich so etwas vorzuhaben, und es funktioniert auf der Oberfläche der Lektüre sogar.

Zoli ist eine Zigeuner-Dichterin aus der Gegend um Bratislava, die das geheimnisvolle Insiderwissen ihres Volkes ehrfurchtsvoll besingt, und dabei immer mit dem eigenen Leben und der politischen Lage in Verbindung bringt.

Buch-CoverDas Sinnvollste von Graz ist der Droschl-Verlag. Er gibt unter anderem die Serie „Dossier“ heraus, worin versucht wird, österreichische Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihrer Wahrnehmung je nach Notwendigkeit ins rotieren zu bringen oder zu stabilisieren.

Der Band 26 gilt dem Tiroler Norbert Gstrein und ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Denn Norbert Gstrein weigert sich mit Händen und Füssen, vom Literaturbetrieb gefesselt zu werden.

Buch-CoverBücher, die eine konkrete Frage stellen und diese stracks beantworten, haben immer etwas Faszinierendes an sich.

So stellt die Jahrhundert-Architektin Margarete Schütte-Lihotsky für ihre biographische Zusammenfassung die feststellende Frage ohne Fragezeichen: „Warum ich Architektin wurde“.

Buch-CoverSo umfangreich, abrupt und raffiniert verzirkelt wie Robert Musils Hauptwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ ist auch der Trakt jener Bücher, die mittlerweile über Robert Musil erschienen sind und stündlich neu erscheinen. Die Frage bei einem Werk über Musil lautet also. Was ist dieses Mal der besondere Aspekt, der die Ausführung einer weiteren Musilanalyse notwendig gemacht hat?

Für Jean-Louis Poitevin ist letztlich die Küche der ideale Ort, um sich Musil zu nähern. In einem ganz winzigen Schlusskapitel wird auf die relativ lapidare Erkenntnis zurückgegriffen, dass es in der Küche anders riecht als im Speisesaal, dass die Speisen am Schneidebrett anders aussehen als am Teller, ja dass das Leben in einem Text anders aussieht als in freier Wildbahn. Diese kleine Erkenntnis hat dem Musil-Buch schließlich den Titel gegeben, der Buchtitel ist somit eine wohlriechende Irritation auf dem großen Ausgelege des Musilschen Frischmarktes.

Buch-CoverManchmal sind Texte eingespannt in entgegen gesetzte Zugkräfte. Eine kühle, dokumentarische Stimme kommentiert ein Drogenschicksal bis zum logisch letalen Ende, eine zärtlich besorgte Erzählhand hingegen unterbricht diesen Ablauf und stellt immer wieder die fassungslose Frage, warum das alles so kommen musste. Dazwischen liegt der Text, der Autorin und Leser beinahe zerreißt.

Christine Losso hat für den tödlichen „Abenteuerroman“ über ihre Schwester Dolores jene literarisch dokumentarische Mischform gewählt, die einerseits das einmalige Schicksal ihrer Schwester und andererseits die allgemeine Moral aus der Geschichte für die Leserschaft daraus zur Verschmelzung bringt.