Giulio Camagni, Der Kaiser. Maximilian I.
„Hofkirche, Innsbruck, 2021. Heutzutage betritt man die Kirche durch eine Seitentüre im Innenhof. Ich fühle mich klein und fehl am Platz als ich eintrete und plötzlich die mächtigen Rücken der Schwarzen Mander vor mir aufragen. Auf Zehenspitzen gehe ich um sie herum. In der Mitte befindet sich der Kenotaph, das monumentale, aber leere Grabmal, bewacht von den Ahnen des Verstorbenen. Maximilian I. von Habsburg, 1459-1519, der letzte Ritter.
Gleich zu Beginn wird in einer dramatischen Szene auf einem Bauernhof in der Nähe der Stadt Innsbruck der widersprüchlichen Gestalt Kaiser Maximilians I. gedacht. Die Bauernfamilie hat soeben vom Tod des Kaiser erfahren und die Männer wollen als Landsknechte des Herrschers auf den Kaiser anstoßen. Die Frau hingegen verflucht den Kaiser, den sie für den Tod ihres Gatten verantwortlich macht und der nur Ruinen, Not und Leid zurückgelassen hat.
Zeit und Ortswechsel in dem der Autor das Grabmahl in der Hofkirche in Innsbruck betritt und über die einzelnen Figuren rund um den Kenotaph in die Vergangenheit eintaucht und das Leben des berühmten Habsburger Kaisers Revue passieren lässt. Beginnend mit der Hochzeit Maximilians mit seiner zweiten Gattin Bianca Maria Sforza, der Tochter des Herzogs von Mailand, deren Hochzeit in Abwesenheit des Bräutigams in Mailand gefeiert wurde und die über den mehr als 2.500 Meter hohen Umbrailpass über die Schweiz nach Innsbruck reisen musste.
Die Zeit wechselt zu Maximilians Vater Friedrich III., dessen mittellose Dynastie den anderen mächtigen Dynastien trotz seiner Kaiserwürde weit unterlegen war, gelang es durch seine Ehe mit Eleonore von Portugal und seine geschickte Heiratspolitik für Maximilian mit der Herzogin von Burgund den Weg an die Spitze der europäischen Politik zu ebnen.
Immer wieder wechseln die Schauplätze zurück zur Bauernfamilie nach Tirol, die direkt von den Entwicklungen rund um Maximilians Leben betroffen sind. Sepp, ein Tiroler Knecht, lässt sich als Landsknecht der kaiserlichen Armee anheuern, was ihm den Zorn seiner Geliebten Lena einbringt, die den Krieg und was er aus den Menschen macht, hasst. Während Sepp in den grausamen Schlachten der Schweizer- bzw. Schwabenkriege kämpft, verliert Lena gleich nach der Geburt ihr kleines Mädchen. Und auch Sepp zeigt sich nach seiner Rückkehr durch den Krieg völlig verändert.
Das Leben wurde stumm, schwer und grau. Ein armer syphilitischer Säufer, das war es, was der Krieg Lena zurückgegeben hatte. (S. 28)
Die folgenden Lebensstationen des Kaisers sind von Gewalt und Blut gezeichnet, die auch im Leben von Lenas Familie zu einer Katastrophe führen sollten.
Giulio Camagni erzählt die Geschichte des berühmten Kaisers Maximilian I. auch aus dem Blickwinkel einer einfachen Tiroler Familie und damit aus der Sicht von Menschen, die in Historiographie üblicherweise keine persönliche Stimme erhalten. Dabei werden die Schrecken des Krieges und seine Auswirkungen auf die Opfer wie Täter berührend und ohne Beschönigung dargestellt.
Ein überaus beeindruckender historischer Comic über das Leben eines geschichtsmächtigen Kaisers, der vor allem aber auch den Blickwinkel des einfachen, leidtragenden Volkes gezielt in den Mittelpunkt zu stellen weiß. Die gut recherchierte Geschichtsdarstellung, die kräftigen Dialoge und die ausdrucksstarken Illustrationen machen das Sach-Comic-Buch zu einem außergewöhnlichen und überaus empfehlenswerten Leseerlebnis.
Giulio Camagni, Der Kaiser. Maximilian I. Ill. v. Giulio Camagni, ab 16 Jahren
Wien: Bahoe Books Verlag 2022, 120 Seiten, 26,00 €, ISBN 978-3-903290-85-3
Weiterführende Links:
Bahoe Books Verlag: Giulio Camagni, Der Kaiser. Maximilian I.
Wikipedia: Giulio Camagni
Wikipedia: Maximilian I. (HRR)
Andreas Markt-Huter, 28-03-2023