Literatur entsteht durchaus aus den unsichtbaren Rissen, die durch jede Gesellschaft verlaufen und an denen sich der Feinfühlige ansiedelt, um zu überleben.

Alois Reiter ist nach mannigfaltigen Berufen in der Stadt letztlich ins Mühlviertel aufgebrochen und zertifizierter Biobauer geworden. Zu einem Schlüsselerlebnis wird ihm jener unfreundliche Akt diverser Mitbewohner, die ihm eines Tages in Wurzelreichweite seines Biotops alte Asphalte von demontierten Straßen zu Füssen legen.

In der Literatur gibt es letztlich nur zwei Themen: Liebe und Tod. Wenn das Leben ausgeistert, fällt alles ab und diese beiden bleiben übrig.

Jürg Amann hat seinen letzten Gedichtband noch selbst geordnet, während er an dieser Schwelle zwischen Leben und Tod seine Gedichte sortiert hat. Die Themen dieses schmalen Werkes sind dann auch die herbstliche Liebe, Aufrufe, Gebete und Fragment-Sätze, und schließlich der pure Tod.

Lyrik ist nicht nur der Text, der irgendwie zu den Leserinnen durchdringt, sondern vor allem das Ambiente, die Darbietungsform, das Weiße zwischen den Zeilen, das Haptische zwischen den Fingern, der Klang, der beim Umblättern entsteht.

Sabine Grubers minimalistisches Gedichtbändchen „Zu Ende gebaut ist nie“ erfüllt alle diese Voraussetzungen, um einen Abend der Unvergesslichkeit zu bescheren. Denn ähnlich wie ein imposanter Kino- oder Restaurantbesuch beschert ein Abend mit einem Lyrikband vor allem eine positive Markierung im eigenen Lebensablauf. Eine gelungene Lektüre zerteilt die Zeit in vorher und nachher.

Neben esoterischen Legenden, wo „Streith“ eine Art Gemüts-Materie ist, findet man unter Streith vor allem eine Geländeparzelle auf halbem Weg von Großgerungs nach Großpertholz. Wem diese Groß-Orte zu unbekannt sind, sie liegen im Großraum Weitra /NÖ.

Richard Wall sucht seine Gedichte oft in historisch entlegenen, zu Steinfeldern zerlegten Flecken weitab von den Koordinaten der Überland-Navis. Das lyrische Ich taucht jäh auf einer Lichtung auf, pflückt archaisches Werkzeug aus dem Boden und hackt eine Ansicht frei.

Wie kann man einen ungewöhnlichen Lyriker in einer kleinen Schau präsentieren, ohne dass sein Werk zurückgestutzt wird auf die Erfordernisse der modernen Editionskultur?

Unter der geistigen Schutzmacht der Bücherwürmer Lana wird der Lyriker Andrea Zanzotto in einem „kleinen Buch außerhalb der Reihe“ vorgestellt.

Das lyrische Programm eines Autors zeigt sich selbstverständlich in seinen Gedichten, andererseits in poetischen Formeln, die wie Spruchbänder den Gedichtsammlungen überschrieben sind. „Er wollte Gedankenmaschinen bauen, die von solcher Eleganz und Vollkommenheit, im Übrigen ohne jeden praktischen Zweck waren, dass es auch unnötig war, sie zu materialisieren.“ (5)

Nach diesem Konzept entwickelt Wolfgang Hermann seine Gedichte, die oft nur der Bauplan eines Gedichtes sind, das vielleicht der Leser materialisieren muss, indem er es ausspricht oder seine Gedanken als geschmeidige Verstärkung eines Konstruktes hinzufügt.

Die raren Gedichtbände beinahe schon verlorengegangener Lyrik-Helden gleichen unauffälligen Meteoriten: Während Gras über ihren Einschlagkrater wächst, beginnen sie aus der schwarzen Antimaterie heraus zu funkeln.

Neeli Cherkovski, der alte Haudegen aus der kleinen Schar der Ur-Beatniks, hat mit seinem Band „Falling Light“ einen solchen Meteoriten nach Europa gesandt, wo er in der Übersetzung „Fallendes Licht“ im kleinen Zirler Verlag BAES gelandet ist.

Genau besehen haben Allerweltsgedichte eine doppelte Zugkraft, einmal ziehen sie mit großem Drang hinaus in alle Welt, andererseits sind sie von einer Alltäglichkeit, dass sie auch zu Hause bestens funktionieren.

Gerhard Jaschke hat für beide Zugrichtungen ein Programm, das lapidar am besten mit seinem Kurzgedicht überschrieben werden kann: „von wörgl aus / um die halbe welt“ (86). Die Weltstadt Wörgl, die üblicherweise als von Chris Lohner aus den ÖBB-Lautsprechern heraus gewürgte Haltestelle durch die Ohren Österreichs geistert, wird hier geadelt als ein Ort höchster Aufbruchsstimmung.

In der Literaturgeschichte gibt es so magische Kosenamen, die das Herz des Belesenen sofort höher schlagen lassen. Lenz ist so ein poetischer Zauberer, der bei jedem Aufruf an die Grenzen seiner Gedankenkapazität geht, manchmal umringt von einem Gebirge.

Oswald Egger, der Schöpfer einer eigenen poetischen Sprache, nimmt den Kosmos des Lenz auf und gestaltet daraus einen Atlas der Poesie. Der wilde Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) gilt seit der Erzählung Lenz von Georg Büchner als der heftigste Borderliner der Literatur, der je nach Tagesverfassung eine eigene Tagessprache erfindet. „Wurmloch zu den Wolken“ heißt so eine bekannte Fügung, die sich jeder Leser persönlich auslegen darf.

Ein Titel wie ein Ohrwurm! Schon vom Umschlag an setzt sich das Gezirpe in das Ohr, man hört beim Blättern vor allem die eigenen Grillen aus allen südlichen Sphären und Sommern der eigenen Biographie.

Sophie Reyer entwickelt einen atemlosen lyrischen Sound, den sie tatsächlich als großes Gezirpe durch die Aula der Poesie jagt. Im ersten Eindruck ist es ein Gewirr von Versen und Fügungen, die teils als Litanei, teils als Liste poetischer Aufwiegelungen über die Seiten brausen.