Buch-CoverGanz Rom ist ein Palimpsest, Geschichten, Gebäude, Kulturen und Wetterlagen sind dermaßen in einander verschachtelt, dass man nie die einzelnen Schichten als Ganzes los lösen kann. Wie wenn man ein Stück Wurzel aus der Erde zieht, ist immer noch etwas von früher und von woanders dran.

In der Kultur- und Literaturtheorie ist ein Palimpsest ein Text, in welchen aus pragmatischen Gründen ein anderer hineingeschrieben worden ist. Das berühmteste Palimpsest der Literaturgeschichte gibt es bei Thomas Pynchon, wo Agenten unter dem Schnauzer die geheime Botschaft eingeschrieben haben, sichtbar nur für jenen, der die richtige Rasur kennt.

Buch-CoverAh, das ist ein idealer Roman für germanistische Seminare! Eine Dissertantin Johanna hockt über dem Thema Johanna, und plötzlich fließen die Welten ineinander.

So kommt einmal die Universitätswelt unmittelbar zum Vorschein, wie man schwitzt und ständig Angst hat vor Prüfungen, und indirekt schwitzt das universitäre Wissen die historische Figur Johanna aus, die natürlich ebenfalls Angst hat, weil sie ja auf den Scheiterhaufen muss um dann nach fünfhundert Jahren heilig gesprochen zu werden.

Buch-CoverKann man die Vergangenheit planen wie die Zukunft? – Das ist vielleicht die schlimmste Situation, in die jemand geraten kann: Man wacht auf und ist in der falschen Zeit wie im sprichwörtlich falschen Film.

In Hannelore Valencaks Roman „Das Fenster zum Sommer“ wacht die Ich-Erzählerin Ursula eines Morgens auf und ist in die Vergangenheit zurückgeworfen. Eben noch war sie glücklich verheiratet, jetzt liegt sie wieder im dumpfen Kabinett bei der böswilligen Tante, wird zum Aufstehen gedrängt und geht auch brav in ihr ehemaliges Büro, wo der Alltag bissig einsetzt wie in Büros üblich.

Buch-CoverWie kann man einen Draht zur Geschichte entwickeln, wenn einem nicht einmal die eigene Mutter bekannt ist? - Die „fremde Mutter“ ist in Christine Haideggers Roman einmal eine biographisch ausgelöschte Person, zum anderen aber auch die Geschichte überhaupt.

Der Roman hat eine dramatische Konstellation, wie ihn keine Kunst, sondern ausschließlich das so genannte Leben entwickeln kann.

Buch-CoverFehlende Dinge deuten oft auf etwas Kriminelles hin. So kann eine unvollständige Anschrift letztlich genau so zu einem Täter führen wie die Bezeichnung Kriminal, von der offensichtlich ein Teil fehlt. Ist es ein Kriminalroman, ein Kriminalbeamter, eine Kriminalgroteske?

Peter Pessl lässt in seinem Kriminal-Buch so gut wie alles offen. Die Sätze werden nur angedeutet, Szenen erscheinen im Halbschatten, der zweite Teil eines Dialogs fehlt fast immer, ständig werden Situationen aufgerissen und offen gelassen.

Buch-CoverManchmal reißt einen ein edler Umschlag mit poliertem Werkzeug in die düsterste Materie. Magnus Mills hat nichts Größeres vor, als die komplette Arbeitswelt als Wahnsinn darzustellen, uns Leser darin zu verstricken und dann das ganze mit Ironie in die Luft zu jagen.

Über das ganze Land verteilt gibt es ein geheimnisvoll wichtiges Transportunternehmen, das nichts anderes tut, als alle Transportgeräte und deren Fahrer in gleichmäßiger Bewegung zu halten. Zu diesem Zweck wurde der so genannte Univan erfunden, ein völlig untauglicher Klein-LKW, der außer sich selbst und den pragmatisierten Fahrern kaum etwas transportieren kann.

Buch-CoverKein Milieu ist vor Kriminalität sicher, das macht den Beruf eines Kommissars so aufregend, er gerät nämlich mit jedem Fall in ein spezielles Milieu.

Für Tone Hagen, der seit seiner Rückkehr ins Ländle stets angefressen und widerwillig ermittelt, ist wahrscheinlich ganz Vorarlberg ein undurchsichtiges Milieu.

Buch-CoverMusik ist bei Thomas Meinecke mehr als das Handling von Tönen, genau genommen gibt es ja auch eine Musik der Geschichte, eine Musik der Erotik, und alles, was zwischen zwei Körpern abläuft, ist letzten Endes so etwas wie Musik.

Musik ist eine Universalgeschichte der Gegenwart, worin so seltsam divergente Dinge wie Heimatkunde, Geschichtsbewusstsein, Kulturempfinden, Rollenverständnis und Alltagssexualität abgehandelt werden.

Buch-Cover"Gibt es Menschen, die es fertigbringen, die Welt genauer zu sehen als sie ist?" (18) – Der britische Physiker Paul Dirac (1902-1984) scheint so ein Mensch gewesen zu sein, manche seiner Beiträge zur Quantenphysik gelten heute noch als rätselhaft und lösen deshalb Bewunderung aus.

Für einen rastlosen Studenten ist so ein Mammut an Wissenschaft natürlich die ideale Messlatte, um das eigene Leben zumindest in der vagen Lebensplanung etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. David beschließt, als Biograph des Genies aufzutreten, nachdem er sein Studium an den Nagel gehängt hat.

Buch-Cover"Stillborn" heißt so viel wie Totgeburt oder tot geboren. Beide Bedeutungen können als Lebensmotto von Elisa angesehen werden, sobald sie über sich nachzudenken anfängt, steigt aus der Kindheit jene Leere auf, die man stillborn nennt.

Dabei ist Elisa im Alltagsleben äußerst erfolgreich, sie handelt nämlich mit Flächen, Wohnflächen, Nutzflächen, Freizeitflächen, und das Wort, das regelmäßig einen Orgasmus auf der Zunge auslöst, heißt Quadratmeter. Elisa ist nämlich Maklerin und hat diesen quadratischen Blick, der aus jeder Wahrnehmung den entsprechenden Nutzen abliest. In der Maklerei ist eine Tirolerin angestellt, die überhaupt Klara Quadrat heißt, so nützlich ist sie, bei ihr ist nämlich die Tiroler Kindheit zu einem einzigen Reservoir an Nützlichkeit ausgebaut.