martin schwietzke, der hundeausführroboterausführhundIm Zeitalter von Hashtag-Überschriften ist es durchaus üblich, den Plot einer Nachricht in ein zusammengepresstes ZIP-Wort zu verpacken. Die deutsche Sprache neigt ohnehin zu Wortverpressungen, man denke nur an die Lust diverser Regierungen, ein Gesetz in Wortmonster zu verpacken und als „Gute-Kita-Gesetz“ zu beschließen.

Martin Schwietzke greift dieses Stilmittel auf und versieht neben der Haupterzählung auch den gesamten Erzählband damit. Durchgehendes Thema der neun Geschichten ist die Überlegung, dass die besten Erzähl-Champignons auf dem lockeren Nährsubstrat der bisherigen Literaturgeschichte wachsen. Eine gute Geschichte fußt meist auf dem Mist einer anderen guten Geschichte und ist upgedatet, aktualisiert und für den modischen Gendergebrauch umgemodelt.

simon konttas, trautes heimNichts ist literarisch so schwer zu handeln wie das, was alltäglich auf dem Erlebnis-Teller liegt und als normal gilt. „Das traute Heim“ streckt als pure Formulierung sofort die semantischen Greifarme aus und lullt jene ein, die an der Oberfläche dieses Bildes bleiben.

Simon Konntas nennt seinen raffinierten Roman über die Glücksvorstellungen einer angehenden Malerin ungeschützt „Trautes Heim“. Damit spricht er die Lesenden unverblümt an, damit sie selbst die Glücksvorstellungen abrufen, die sich seit Kindheitstagen in der Spielecke der schönen Seele aufgestaut haben, ehe er mit einem schlichten Plot die gängigen Muster aus dem Lot bringt.

reinhard wegerth, fast unglaublichDie Literatur hat ja eine doppelte Aufgabe, was die Glaubwürdigkeit betrifft. Einerseits muss sie etwas schier Undenkbares wahr machen, indem es als Literatur erzählt wird, und andererseits führt sie zum Kopfschütteln, wenn das eingepasste Weltbild des Lesers durch Abweichung von der Erzählnorm zum Vibrieren gebracht wird. – Historiker sagen nicht umsonst, dass es keine erzählte Geschichte gibt, die nicht aus der „getätigten Geschichte“ resultiert oder diese induziert.

Reinhard Wegerth nimmt für seine wahren Geschichten einen „fast unglaublichen“ Standpunkt ein. Er lässt fünfzehn Episoden der jüngeren Geschichte Österreichs Revue passieren, indem er die beteiligten Gegenstände zu Helden macht. Seine Überlegung ist raffiniert: Wenn schon die Geschichte sich gewisser handelnder Personen bedient, um daraus Helden oder Unglücksraben zu machen, dann könnte man die beteiligten Gegenstände ebenfalls heroisch aufwerten und ihnen eine Stimme zukommen lassen, wie ja auch bei Kriminalfällen oft Gegenstände aus der Asservatenkammer geholt und während eines Prozesses befragt werden.

ludwig roman fleischer, weana gschichtDas Buch von der Wiener Universal-Geschichte betritt man am besten, indem man wie durch einen akustischen Triumphbogen der Sprache mit zwei CDs hineinhüpft in den Text. „Weana Gschicht“ ist eine mündliche Angelegenheit, gleichsam öffentlich wie intim. Im Vorsatz sind die beiden güldenen CDs eingeklemmt. Der beigestellte Buchtext hat die Funktion, das Auge still zu halten, damit sich das Gehör konzentrieren kann. Wie eine Partitur zeigt der Text vor allem die Gliederung, die dem Jahrhundertwerk innewohnt.

Ludwig Roman Fleischer ist ein Sprachkünstler und Erwachsenenbildner. Mit seinem ironischen Duktus stellt er fürs erste klar, dass man ruhig seiner Stimme lauschen kann, es wird keine spannendere in der nächsten Zeit auftreten. Und die voluminöse Prägnanz gibt dem Vortrag jene Glaubwürdigkeit, die es braucht, um die volle Wucht des Themas „Geschichte“ auszuhalten.

ludwig roman fleischer, partnerlookDie Weltliteratur, sagt man, ist sehr gerecht aufgebaut. Jedes Land darf einen besonderen Baustein dazu beitragen, und am Ende gibt es eine Fülle von Stoff, Erzähltechniken und überschäumenden Realismus.

Österreichs Beitrag zu diesem erzählenden Weltwunderwerk ist der „Innere Monolog“. Einst vom ruhiggestellten Arzt Arthur Schnitzler für seine Figur Fräulein Else 1924 erfunden, erreicht er seinen Höhepunkt in der Figur des Herrn Karl, der die österreichische Seele zu einem pragmatischen Kellerwesen ausbaut.

Und nicht nur in psychologischen Belangen ist der innere Monolog unschlagbar, er erweist sich auch als Erzählmeister einsamer Individuen, die von einer Pandemie in ihre eigenen Körperzellen gesperrt sind.

ronald weinberger, die astronomie und der liebe gottBücher über große Themen unterliegen dem Erzählparadoxon: Je größer das Thema, desto bescheidener hat die Erzählhaltung auszufallen.

Ronald Weinberger nimmt sich berufsbedingt das größte denkbare Thema zu Herzen, das wahlweise mit All, Weltraum oder Universum bezeichnet wird. Seinen bescheidenen Erzählstandpunkt drückt er in einer Widmung aus, indem er sich bei den Eltern bedankt, die ihn als Teil des Universums auf die Welt gebracht haben. Nebenbei sind sie fröhlich geblieben und erst in hohem Alter abgeklärt verstorben.

isabella breier, grapefruits oder vom großen gartenEinem Klumpen Lehm gleich wird der sogenannte Konzeptroman den Lesern auf einer Töpferscheibe angeboten, die sich beim Lesen zu drehen beginnt, sodass daraus ein persönlicher Golem geformt werden kann.

Isabella Breier nennt ihr Buch „Vom großen Ganzen“ eine Groteske und serviert diese unter dem rätselhaften Titel „Grapefruits“. Schon beim ersten Aufschlagen des „Romans“ stellt sich dieses animierende Gefühl ein, dass man sich den Text erarbeiten muss. Im besten Fall dreht sich die Töpferscheibe und beim ersten Zupacken mit beiden Händen lässt sich ein großes Dreieck der Erkenntnis herauslesen.

franzobel, einsteins hirnIn Österreich kommen manche erst dann mit Bildung in Kontakt, wenn ihnen bei der Autopsie das Hirn entnommen und die Kopfhöhle mit der Kronenzeitung ausgestopft wird.

Diesen Witz greift Franzobel schelmisch auf, wenn er überlegt, wie man Bildung, Gott und die Welt als Genie-Streich haptisch machen könnte für einen Roman. Der Autor bedient sich dabei der prognostizierenden Faktenmethode, indem er zuerst einen Plot fiktiv entwirft und anschließend die darin vorkommenden Fixpunkte analog abreist, bis daraus eine Art Tatsachenroman formuliert werden kann.

christian futscher, statt einer mütze trug ich eine wolkeJeder Roman lebt davon, dass er mit den Wörtern mehrdeutig umgeht. Schließlich geht es bei jedem Begriff um eine vage Gedankenbewegung. Wenn beispielsweise etwas am Kopf sein soll, ist es vorerst egal, ob es sich um eine Mütze handelt oder um eine Wolke.

Christian Futscher entwickelt aus diesem Mehrdeutigkeitskult heraus eine eigene Erzählform. Der Ich-Erzähler tritt in die Plot-Stapfens eines Schelms und spuckt eine Pointe nach der anderen aus. Wie bei einem Miststreuer werden die Dungteile gleichmäßig verteilt und spornen die Phantasie zu größtem Wachstum an.

antonio fian, wurstfragen„Griassinnen!“ - Im Wiener Kaffeehaus wird schon seit Jahrhunderten gegendert, wenn eine Bestellung aufgenommen und die sitzende Hofratschaft begrüßt werden muss.

Antonio Fians „Wurstfragen“ handeln von diesen kleinen Verunreinigungen, die im Gebrauch der Alltagssprache auftreten, wenn man nicht genau hinhört oder eine Fügung ohne zu denken verwendet. Die Wurstfragen sind vor allem solche, die Wurst im Sinne von egal sind, also letztlich niemand interessieren. Andererseits tastet sich an diesem Haupt-Hauptwort „Wurst“ die gesamte Kultur entlang, gibt es doch von der Polnischen bis zur Wiener allerhand Wurstformen, die erst dann ihre Reife entwickeln, wenn niemand weiß, was drin ist. Und von jener Wurst, die allenthalben hinten herauskommt, braucht man als Kulturphilosoph gar nicht zu reden, sie liegt nämlich vom Hund gemacht auf diversen Gehsteigen oder plagt die Kundschaft auf dem Weg zur Apotheke.