Buch-CoverKann ein unspektakulärer Mensch eine spektakuläre Biographie haben? Wolfgang Raffeiner zeigt mit seinen Mitschriften zum eigenen Leben, dass das so genannte einfache Leben durchaus aufregend sein kann.

Als Chef einer Zimmerei hat er ein Leben lang nicht nur die schwersten Stämme behauen und zersägt, sondern daneben auch immer sein Leben in wohl proportionierte Scheiter zerhackt und zu einer Tagebuchartigen Kulturmitschrift aufgeschlichtet.

Buch-CoverIn der Literatur gibt es auch diese familiären Grundkonstellationen, die ständig zitiert und auf die jeweils aktuelle Generation herunter gebrochen werden.

Gerade im Stifter-Jahr wimmelte es nur so von Enkeln, die dem erzählenden Großvater die Hand gaben, die Vater suchenden Jungautoren sind gerade in der österreichischen Dichterszenerie legendär, und niemand vermag aufzuzählen, wie oft Kafkas Brief an den Vater Grundlage für Erbschaftsverträge geworden ist. Auch die Brüder und Schwestern schlängeln sich in psychologisierenden Schleifen durch die Buchregale der ehemaligen Kinderzimmer.

Buch-CoverKlaus Händl zieht sich beim Schreiben immer die Umkehrmütze über den Kopf und wird zum Händl Klaus. Das macht Buchhändler und Bibliothekare ziemlich verrückt, weil plötzlich Vor- und Nachname und jegliche Ordnung überhaupt nicht mehr stimmen. Und noch eine zweite Besonderheit zeichnet Händl Klaus aus. Seine Stücke lassen sich auch als Buch mit großem Abenteuergewinn lesen.

Rechtzeitig zur Uraufführung des Stückes „Dunkel lockende Welt“ ist ein Händl-Reader mit drei Stücken erschienen. Im jüngsten Stück schlagen sich jeweils zwei Personen drei Akte lang durch die Untiefen einer brüchigen Alltagswelt. Im Mittelpunkt steht Corinna, die von einem Asthmatiker eine Wohnung gemietet hat und das Lebensgefühl des frostigen Finnland mit der Bruchbude in Leipzig vergleicht. Die Wortmeldungen sind jeweils so asthmatisch kurz, dass sie nie über eine halbe Zeile hinausgehen.

Buch-CoverFahndungsfotos sind dann am wirkungsvollsten, wenn darauf nur die gröbsten Details scharf zu sehen sind und alles andere dem Fahnder überlassen bleibt.

Etwas Ähnliches ist David Honigmann mit seinem Porträt der Alpenstadt „Stöck“ gelungen. Zwar ist scheinbar nichts polizeischarf erzählt, dennoch aber ergibt der Roman hinter der Netzhaut des Lesers ein dichtes Porträt der Stadt Innsbruck, die mit all den kauzigen und wahnsinnigen Bewohnern mit klaustrophoben Tiefgang perfekt beschrieben wird.

Buch-CoverWo ist die toteste Gegend einer Stadt? – Meistens dort, wo nicht einmal mehr Einheimische wissen, wie die Straßenzüge heißen.

In Innsbruck gehört die Feldgasse sicher zum schattigsten Bewusstseinswinkel, den man sich in einer geistig schattigen Gegend vorzustellen hat. Mitten in diesem Brachland zwischen Pädagogischer Akademie und Umspannwerk ist in der ehemaligen „Konsum“-Zentrale das Westbahntheater untergebracht.

Buch-Cover„Ich werde, wenn’s hoch geht, noch zwanzig Jahre lang klettern gehen können. In jedem Jahr gibt es vielleicht zehn solcher Klettersonntage wie den verpatzten gestrigen. Zehn mal zwanzig sind zweihundert. Was sind zweihundert schöne Sonntage? Nichts, ein Wischer übers Gesicht. Ein Glück, dass ich in Innsbruck zur Welt gekommen bin, wo die Berge vom Stadtrand emporwachsen, oder besser – die letzten Häuser schon droben auf den Bergen stehen.“ (25)

Heinrich Klier hat mit seinem 1954 erschienen Roman „Verlorener Sommer“ vermutlich eine neue Literaturgattung eingeführt, den fiktionalen Routenplaner. Verlorener Sommer ist einerseits eine grandiose Schilderung von konkreten Bergrouten ins Karwendl, aufs Matterhorn oder überhaupt durchs Wallis, andererseits ist es ein mit dürrem Erzähldraht zusammen gewickelte Liebesgeschichte, in der es nur so von Steinschlägen und Blitzeinschlägen wummert.

Buch-CoverVollrausch ist immer ein guter Start, da werden die Spielregeln gleich einmal gebrochen, ehe sie noch aufgestellt sind.

Andrej Kurkows Roman über Liebe, Macht und Wahnsinn eines ukrainischen Präsidenten beginnt daher logischerweise mit einem Vollrausch. Jeder Präsident ist nämlich in seiner Jugend einmal ein echter Mensch gewesen. Auch Sergej Stepanowitsch hat in seiner Jugend ordentlich gebechert, und in so einer Phase trifft er auf offener Straße auf den puren Rechtsverkehr.

Buch-CoverEin Jubiläumsjahr ist für einen längst verstorbenen Dichter immer so etwas wie für einen Hundertjährigen ein Gesundencheck. Wenn es ein Dichter einmal geschafft hat, in den offiziellen Literaturkanon einzugehen, ist er quasi gesund, und die kleinen Wehwehchen nimmt man mit Schmunzeln zur Kenntnis.

Im Jahr 2005 hat der gute alte Stifter seinen Gesundencheck erhalten, es ist gut ausgegangen, er ist lieb und kauzig und wir mögen ihn alle. Übrig geblieben bis zum nächsten Jubiläum sind jede Menge Bücher, von reloadet über Böhmen bis zur Liebespost.

Buch-CoverSo genannte wahnsinnige Romane können am ehesten ein wahnsinniges System beschreiben im Sinne einer authentischen Dokumentation. Diese Superfiktionen können aber auch dazu dienen, so genannten normalen Systemen einen Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, wie letztlich jede politische Zelebration mit einem Schuss Irrwitz unterlegt ist.

Daniel Banulescus erster Teil einer satten Trilogie über das perverse System der Ceausescus hält sich scheinbar an keine Logik, und trifft deshalb die Geschichte am genauesten.

Buch-CoverWenn Bozen 2019 Kulturhauptstadt werden sollte, was erzählen wir dann Europa? - Wieder einmal ist es der Kulturphilosoph Armin Gatterer, der eine Frage der Zukunft mit Literatur in Verbindung bringt, üblicherweise rennt die Literatur ja bereits abgehangenen Geschichten und Stimmungen nach.

In der Antwort auf seine Frage stellt Armin Gatterer den Begriff der Narrativität, die Kunst des Erzählens in den Mittelpunkt. Vielleicht sind gerade die ziemlich wortverkümmerten, grobschlächtig in drei Sprachschalen zum Dünsten ausgebreiteten Südtiroler die idealen Erzähler. Denn Themen gibt es seit Jahrhunderten genug: Transit, Handel, Geschäfte, Kulturfluss, in die Heimat kommen und von ihr gehen.